Sie ist so mächtig, dass sie in einer Serie die Hauptrolle spielen kann, ohne darin vorzukommen. Michiko Kakutani, die leitende Literaturkritikerin der New York Times lässt in einer «Sex and the City»-Folge die Hauptfigur Carrie Bradshaw zittern.
Der Grund: Das Buch von Bradshaw wird von der gefürchteten Buchkritikerin besprochen. Auf die Frage, ob Bradshaw aufgeregt sei, antwortet sie einem Freund: «Eher panisch! Kakutani ist brillant. Und sie ist taff!»
Ade auf Twitter, Hallo zu Neuem
Zu dieser Beschreibung gehören noch zwei weitere Adjektive. Kakutani ist streng. Und konsequent. Entweder sie verreisst Bücher – oder sie lobt sie in den Himmel. Ein Dazwischen kennt sie nicht. Dafür wurde sie von ihren Lesern geliebt und von vielen Autoren gefürchtet oder gar angegriffen.
Jetzt geht Kakutani in den Ruhestand. Sie wolle sich in Zukunft auf längere Stücke über Politik und Kultur konzentrieren. Auch wenn sie Bücher und das Schreiben darüber immer lieben werde, schreibt sie auf Twitter.
Damit enttäuscht sie eine grosse Leserschaft. «Niemand hat in den letzten vier Jahrzehnten eine grössere Rolle dabei gespielt, Leser durch die literarische Welt zu leiten», würdigte die Chefredaktion der New York Times Kakutanis Leistung.
Sie fing 1979 als Reporterin an, wechselte dann nach vier Jahren ins Literaturressort der renommierten Zeitung. Nach fast 40 Jahren hat die heute 62-jährige Kakutani so manch eine Schriftstellerkarriere massgeblich beeinflusst. Darunter sind Jonathan Franzen, Zadie Smith und David Foster Wallace.
Fast noch eindrucksvoller sorgte sie für Risse in der Karriere grosser Autoren, indem sie gnadenlose Kritiken auf die Seiten der «New York Times» drucken liess.
Gekränkter Franzen, Rushdie und Baker
Nick Hornbys «A Long Way Down» etwa bezeichnete sie als «larmoyantes Bisschen Schund» und Jonathan Franzens Memorien «The Discomfort Zone» tat sie ab als «ein abscheuliches Selbstporträt des Künstlers als junger Vollidiot». Der Titel dieser Buchkritik : «Ein Mann schaut in den Spiegel und lächelt.»
Das kratzte am Ego des Literaturstars Franzen, der es nicht lassen konnte, Kakutani drei Jahre später als «die dümmste Person in New York City» zu bezeichnen.
Von Salman Rushdie gab es verhaltene Kritik: «Sie ist eine seltsame Frau». Und Nicholson Baker sagte, dass das Lesen ihrer Kritik für ihn so war, «wie wenn ihm die Leber entnommen wird. Ohne Anästhesie».
Norman Mailer, der dreisteste unter den Autoren, die gekontert haben, bezeichnete Kakutani 2005 in einem Rolling Stone-Interview als einen «Ein-Frau-Kamikazebomber» und sagte: «Ich bin ihr Lieblingszielscheibe …, aber die ‹New York Times›-Redaktion kann sie nicht feuern. Sie haben Angst vor ihr.»
Für ihre Leser trifft Kakutani ins Schwarze, bei den Schriftstellern trifft sie einen wunden Punkt. Das bringt ihr eben auch Feinde ein. Doch das kümmert Kakutani nicht. Statt ihre Kritik zu dämpfen, haben diese Gegenangriffe sie zu einer der einflussreichsten Literaturkritikerinnen gemacht. 1998 erhält sie den Pulitzer-Preis für ihren «furchtlosen und massgeblichen» Journalismus.
Während ihrer jahrzehntelangen Arbeit besteht Kakutani auf die Dringlichkeit der Literatur : «Bücher sind eine Form des Bürgerdiskurses. Wir marginalisieren sie auf unsere eigene Gefahr hin.»
Wenn der Name zum Verb wird
Und Kakutani fand ein Publikum für ihre Botschaft – so gekonnt, dass ihr Dasein als Literaturkritikerin zum Phänomen in der Popkultur wurde. Denn nicht nur die Drehbuchautoren von «Sex and the City» feierten ihren grossen Einfluss. Kakutani wurde auch in der Serie «O.C., California» und in Lena Dunhams Serie «Girls» erwähnt.
Die grösste Ehre für eine Kritikerin, die Worte als Waffe nutzt, wird aber ihr Name sein. Er wurde mittlerweile zum Verb, das alle und alles erledigt: «getting kakutanied» heisst so viel wie «dem giftigen Stift der mächtigsten Amerikanischen Literaturkritikerin zum Opfer fallen».
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Nachrichten, 28.07.2017, 06:00 Uhr.