Schwer, radikal zu sein. Schwer, den richtigen Platz zu finden mit sich und den Anderen. Dem Sog des Konformen zu widerstehen und dem alltäglichen Charme der Anpassung. Aussenseiter sein in einer Gesellschaft, die immer auf Integration achtet, im Handeln und im Denken.
Simon Strauss, Jahrgang 1988, ist dagegen. Er will etwas Anderes. Er sucht den Platz der Revolte.
Sieben Todsünden
«Sieben Nächte» ist gebaut wie eine Versuchsanordnung: Ein junger Mann sucht die Abweichung und findet sie in nächtlichen Ausschweifungen, die er zuvor mit einem Freund verabredet.
T. heisst die Figur im Buch und ist im wirklichen Leben Tom Müller, Strauss’ Lektor im Verlag «Blumenbar». Die «sieben Todsünden» geben die Vorlage für die gesammelten Exaltationen dieser einen Woche im Leben des jungen Mannes.
Grosser Rahmen, kleine Bilder
Hochmut, Völlerei, Faulheit, Habgier, Neid, Wollust, Jähzorn, übersetzt in die Perspektive der Gegenwart. Hochmütig ist der Bungee-Sprung vom Hochhaus, gierig der Einsatz beim Pferdewetten, lustgesteuert der Besuch beim Maskenball.
Stanley Kubricks Film «Eyes Wide Shut» ist dafür Strauss erklärtes Vorbild. Natürlich erreicht er es nicht. Auch «Sieben» nicht, den legendären Film von David Fincher, der das Thema gross adaptierte.
Natürlich sind Strauss’ Bilder zu klein, gemessen an Kino und Kulturgeschichte. Zu klein für den grossen Rahmen des Plots, stimmig nur für das Psychogramm der Hauptfigur.
Das Risiko ist überschaubar
«Das hier schreibe ich aus Angst», lautet der erste Satz. Das gibt den Ton vor und die Haltung, in der Simon Strauss die Lage beschreibt.
Es ist die Angst, sich in der Norm des Lebens zu verlieren, ohne es zu bemerken. Den Wegen einer formierten Gesellschaft zu folgen, ohne die Verluste zu spüren, die das mit sich bringt.
So ähneln die kleinen Fluchten, die Mutproben dieser sieben Nächte passgenau den Verhältnissen, die sie fliehen wollen. Das Risiko ist überschaubar, hier wie dort.
Romantisches Denken
Simon Strauss ist privilegiert. Sohn des Schriftstellers Botho Strauss, Erziehung im Internat, mit 26 schon Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er weiss das und sucht doch Distanz zum Programm seiner Biografie. Glück muss da liegen, wo noch ein Feind zu finden wäre, wo das Abenteuer der Phantasie gegen die Glätte der Coolness zu verteidigen ist.
«Sieben Nächte» ist romantisches Denken. Generationen-Buch in den Fussspuren der Romantiker, Manifest gegen die Lässigkeit der Ironie. Gegen den leichthändigen Zynismus, den Strauss als Grundhaltung seiner Generation identifiziert.
Das Buch findet keine Form
Stimmt der Befund? Und wenn, für wen? Es gab ihn schon einmal, bei Rainald Goetz und Rolf Dieter Brinkmann. Das ist ziemlich lange her und spricht heute nicht dagegen, auch wenn Strauss deren literarische Qualität nicht erreicht.
Das Buch findet keine Form, für das, was es fordert. Manifest und Erzählung, persönliches Bekenntnis und soziale Deutung, das geht nicht ineinander.
Was bleibt? Der Konformist ist noch da, die Logik der Anpassung auch. Nur die Verhältnisse sind anders. Schwer, radikal zu sein. Immer noch.
Sendung: SRF 1, Literaturclub, 5.9.2017, 22.25 Uhr