In einem hochemotionalen Ton schreibt 1874 ein Johann Georg an seine zukünftige Ehefrau: «Hätten Sie hineinzublicken vermocht in meine Brust, wie es da drinnen bebte und zitterte; (...) glauben Sie mir, es sind meine wahren Gefühle – so tief-schmerzlich und so hoch-freudig zugleich.»
Knapp hundert Jahre später, 1972, fordert eine stürmische Charlotte Küsse: «Bitte beginn’ mit zärtlich und dann geh’ das Register durch bis wild und wieder retour.»
So unterschiedlich und geprägt vom jeweiligen Zeitgeist die Liebesbriefe auch sind, klar ist: Ein Liebesbrief soll authentisch und in der Sprache des Herzens geschrieben sein.
Tausende Liebesbriefe
Die Kulturhistorikerinnen Ingrid Bauer und Christa Hämmerle haben zusammen mit ihrem Team für das Buch «Liebe schreiben» Tausende überwiegend aus dem bürgerlichen Milieu stammende Paarkorrespondenzen zwischen 1870 und den 1980er-Jahren gelesen und analysiert. Entstanden ist eine lesenswerte Kulturgeschichte des Liebesbriefs.
Sehnsucht und Eifersucht, Trennung und Abschied, aber auch Kümmernisse und Freuden des Alltags sind Themen, über die Paare ausführlich korrespondieren. Oft verhandeln sie auch Erwartungen, Wunschbilder oder vorherrschende Konzepte von Liebe, Ehe und Familie.
Wandel der Geschlechterrollen
Immer wieder spiegeln sich gesellschaftliche Umbrüche in der Korrespondenz – etwa in den 1920er-Jahren: Die Geschlechterrollen beginnen sich stark zu wandeln.
Fortschrittliche Frauen wünschen sich ein kameradschaftliches Konzept, dem ihre Männer in den Briefen manchmal charmant zustimmen. In der Realität aber obsiegt dann trotzdem oft das traditionelle Modell.
Feldpost während der Weltkriege
Die umfangreichste Paarkorrespondenz, die den Kulturhistorikerinnen vorliegt, stammt aus den beiden Weltkriegen. Das hängt damit zusammen, dass Millionen von Paaren getrennt sind und einander deshalb schreiben.
Kommt hinzu, dass insbesondere das nationalsozialistische Regime die Feldpost stark gefördert hat – bis hin zum Umstand, dass Feldpostadressen in Zeitschriften veröffentlicht werden und junge, ledige Frauen aufgefordert werden, den Soldaten zu schreiben und eine Korrespondenz aufzunehmen.
Kein Konflikt erwünscht
Die Feldpost soll Heimat und Front zusammenbinden und die Soldaten in ihrem Durchhaltewillen stützen. Umgekehrt gibt das Schreiben den Soldaten die Möglichkeit, ihre Sehnsucht zu formulieren und sich in Erinnerung zu rufen.
Das klingt dann 1942 etwa so: «Ich habe nicht das Gefühl, 2,5 tausend Kilometer von Dir entfernt zu sein, mir ist es so, als ob ich bloss in Potsdam-Eiche oder Werder wäre und Dich eigentlich immer anrufen könnte, wann ich wollte. Und wenn ich dann wirklich anrufen will, dann kommt der schreckliche Sturz in die Wirklichkeit, und ich merke, dass ich schon viele Jahre vom Heimatherde fort bin.»
Beziehungskonflikte spielen während des Zweiten Weltkriegs eine untergeordnete Rolle: In der Feldpost schonen die Liebenden einander und sprechen sich Mut zu. Heftige Geschlechterdebatten gibt es erst wieder ab den späten 1960er-Jahren, als alte Hierarchien zu bröckeln beginnen und Paarbeziehungen neu verhandelt werden.
Von SMS bis E-Mail
Heute ist der Liebesbrief auf Papier ein Relikt aus vergangener Zeit; an seine Stelle ist das ausführliche E-Mail getreten. Aber auch SMS-Nachrichten und visuelle WhatsApp-Mitteilungen überbringen Liebesbotschaften. Das heisst: Geschrieben wird nach wie vor, radikal geändert aber hat sich die Form.
Liebesbriefe
Sendung: SRF 2 Kultur, Passage, 22.12.2017, 20.00 Uhr.