Müsste man Zsuzsanna Gahses umfangreiches Werk mit einem Wort beschreiben, es wäre wohl «fliessende Präzision». Ein Widerspruch eigentlich, den die heute 72-Jährige von Buch zu Buch fast traumtänzerisch auflöst.
In «JAN, JANKA, SARA und ich» von 2015 zum Beispiel wirft sie ein erzählerisches Netz über ein rasant wachsendes einstiges Bauerndorf. Eine Vielzahl von Stimmen äussert Gedanken und Beobachtungen.
Kommt vom Hundertsten ins Tausendste, vom Kleinen ins Grosse, vom Persönlichen ins Allgemeine und umgekehrt. Bis ein Gesamtbild entsteht, ein Fluss, in dem jedes mitgeführte Stöckchen und Blatt sichtbar bleibt, das Detail also seine Eigenständigkeit bewahrt.
Scharfer Humor
Wie immer bei Zsuzsanna Gahse ist das packend, anrührend und sprachlich raffiniert erzählt. Die kristallinen Sätze singen und tanzen und verblüffen mit scharfem Humor.
Zsuzsanna Gahse wurde 1946 in Budapest geboren. Zehnjährig flüchtete sie nach dem Ungarn-Aufstand mit ihren Eltern nach Wien. Das Deutsche wurde zu ihrer Schreibsprache.
«Die Sprache ist ja eine Art Infusion, gegen die man sich nicht wehren kann», sagte sie einmal. «Sie strömt auf einen ein und weckt Ideen und Gedanken. Weil ich das Deutsche plötzlich um mich hatte, fing ich also an, Deutsch zu schreiben.»
Texte, in denen man wohnen kann
Aus der Infusion der deutschen Sprache bezog Zsuzsanna Gahse bislang über zwei Dutzend Bücher – Gedichtbände, Erzählungen, Romane. Eine «Sprach-Alchemistin» wird sie gerne genannt.
Sie experimentiert aber nie nur um des Experimentierens willen. Sie will Texte schaffen, die man bewohnen, in denen man «auf und ab gehen kann».
Auseinandersetzung mit dem Fremden
Zsuzsanna Gahse ist nicht nur in der Literatur eine leidenschaftliche Reisende. Immer geht es ihr um Begegnung, um die Reibungen zwischen Vertrautem und Fremdem, um Auseinandersetzung.
Diese will sie politisch verstanden wissen, wenn auch mit einem Vorbehalt: «Ich möchte nie mit dem erhobenen Finger schreiben, das hat man im vergangenen Jahrhundert gemacht. Aber etwas auszusagen gibt es immer wieder.»
Yoghurt und Identiät
Mit ihrer präzisen Poesie sagt Zsuzsanna Gahse ganz vieles aus. Hält zum Beispiel all denen, die sich nicht fürs Thema Migration interessieren in ihrem wunderbaren Reisebericht «Südsudelbuch» von 2013 entgegen: «Niemand ist überhaupt nicht fremd».
Und führt auf ihre kluge, witzige Art ganz nebenher den Beweis, dass auch Wörter Migranten sind. Das Wort «Yoghurt» zum Beispiel verliere seine Identität: Wo man auch hinkomme, der Yoghurt schmecke anders.
Sendung: SRF 4 News, Nachrichten, 17.1.2018, 10:30 Uhr