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Jane Gardam gestorben Mit 80 wurde sie zur Bestseller-Autorin

Jane Gardam wurde spät zum «It-Girl» der englischen Literatur – mit 89 Jahren. Nun ist die Bestseller-Autorin 96-jährig verstorben.

Die Schriftstellerin Jane Gardam wurde erst vor ein paar Jahren zur international gefeierten Schriftstellerin. Mit ihren Geschichten traf sie den Nerv der Zeit, auch wenn sie diese bereits zwischen 1977 und 2007 geschrieben hatte.

Denn die Bücher drehen sich um zwei Fragen, die in der heutigen Selbstdarstellungskultur wichtiger sind denn je: Wie viel von sich zeigt man den Anderen? Und wie ehrlich ist man zu sich selbst?

Gefühle spüren ohne Worte

Um diese Fragen geht es zum Beispiel in der Geschichte mit dem Titel «Hetty, schlafend». Hetty, eine junge Frau, ist mit ihren beiden kleinen Kindern in den Ferien am Meer und trifft zufällig ihre einstige grosse Liebe Heneker wieder.

Ältere Frau mit weissem Haar vor blauem Hintergrund.
Legende: Jane Gardams lebenslanger Traum vom Schreiben wurde erst spät wahr. Getty Images / Colin McPherson

Isabel Bogdan hat Jane Gardams Werk ins Deutsche übersetzt. In ihren Augen zeigt sich in der Darstellung der Hin- und Hergerissenheit ihrer Hauptfigur Gardams Qualität.

Jane Gardam habe nicht über Gefühle geschrieben, so Bogdan. Aber man kriege sie trotzdem mit.

Meisterin des Kippens

In Gardams Geschichten sehe es zuerst immer ganz anders aus, als es tatsächlich ist: «Irgendwann kippt diese Geschichte und es ist überhaupt nicht so, wie man zu wissen glaubte. Das hat sie wahnsinnig gut drauf: dieses langsame Kippen.»

Von diesen unerwarteten Wendungen in Schicksalen erzählte Jane Gardam ohne moralisierenden Zeigefinger und Pathos. Ihre Prosa ist sehr reduziert und präzise. Ein paar sprachliche Pinselstriche genügen, und man sieht die Protagonisten vor sich.

Mit ihren Figuren ging Jane Gardam liebevoll um. Oft mit einem amüsierten Unterton, aber ohne sie blosszustellen oder auszulachen.

Die Oberschicht zerbröckelt

Ihre Figuren sind Männer und Frauen jeden Alters, mit Fragen und Problemen, wie sie viele Menschen überall auf der Welt kennen. Nur: Jane Gardams Figuren stammen alle aus der oberen englischen Mittelschicht, in der auch sie selbst lebt. Diesen Lebensstil zu porträtieren, gelang ihr meisterhaft.

Sie brachte die Situation vieler alteingesessenen Familien auf den Punkt – und thematisierte den Niedergang der britischen Oberschicht. Es gab einmal viel Geld, aber heute kämpfen die meisten, um ihren aufwendigen Lebensstil aufrechtzuerhalten.

Mit 80 eine Bestseller-Autorin

Jane Gardam verknmüpfte gekonnt englische Geschichte und Tradition mit persönlichen Schicksalen. Das gelang ihr etwa in ihrer Roman-Trilogie über einen alten Richter und seine Frau.

Damit wurde Jane Gardam 2015 im deutschsprachigen Raum überhaupt erst entdeckt. Mit über 80 Jahren stürmte sie gleich die Bestsellerlisten.

2015 erzählte Jane Gardam bei einer Preisverleihung, wie verzweifelt sie sich als junge Mutter danach gesehnt habe, ein Buch zu schreiben. Und dass sie am Tag, als ihr jüngstes Kind eingeschult wurde, auf schnellstem Weg in ihr kleines Büro ging und schrieb. Bis es Zeit war, den Kleinen wieder abzuholen.

Schreiben als «Grundbedürfnis»

Heute wird Jane Gardam zu Recht mit bekannten Erzählerinnen wie Alice Munro oder Katherine Mansfield verglichen. 2009 wurde Jane Gardam sogar von der Königin von England in den Adelsstand erhoben.

«Schreiben», hat sie einmal gesagt, sei für sie «ein Grundbedürfnis.» Immer habe sie gerne Kurzgeschichten geschrieben, ohne sich zu überlegen, ob das der Mode entspreche.

Nun ist Gardam im Alter von 96 Jahren gestorben, wie ihr Verleger gegenüber dem Guardian bestätigte.

Dieser Artikel erschien in einer leicht anderen Form bereits 2017.

Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Nachrichten, 30.4.2025, 16:30 Uhr.

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