Die Vorschusslorbeeren liefert Harald Schmidt himself: Er ist hingerissen von Alain Claude Sulzers neuem Buch «Die Jugend ist ein fremdes Land». Besonders von Sulzers Erinnerungen an «Buckeliturnen, schaumbedeckte Tänzer und die Wirkung von Haferflocken auf den Sexualtrieb».
Nicht Papst, sondern Schriftsteller
Es sei ein Glück, so Schmidt weiter, dass Sulzer dann seinen ursprünglichen Berufswunsch (Papst) doch nicht weiterverfolgt habe, sondern Schriftsteller wurde.
Es ist weder ein Roman noch eine Autobiografie, was Alain Claude Sulzer vorlegt. Es ist etwas dazwischen. Im Buch sind unzählige Romane angelegt, doch der bestandene Romancier Alain Claude Sulzer geniesst es für einmal, die Geschichten kurz und leicht zu halten, vieles zu pointieren und noch mehr wegzulassen. Vor allem meidet er, strikter noch als in seinen Romanen, jede Erklärung.
Nicht Kind, nicht Erwachsener
Um das Dazwischenliegende geht es auch thematisch: Es ist kein Buch über die Kindheit und keines übers Erwachsensein, sondern über die Zeit dazwischen. Sulzer wuchs in Riehen bei Basel mit französischsprechender Mutter und deutschsprechendem Vater auf. Zu Hause sprach man Französisch, in der Schule aber Deutsch.
Seinem Erinnerungsbuch stellt der Sulzer nicht zufällig ein Zitat des britischen Autors L.P. Hartley voran, der ja ein berühmtes Buch mit einem noch berühmteren Titel geschrieben hat: «The Go-Between». Das Motto Hartleys lautet: «The past is a foreign country.» Bei Sulzer wird daraus: «Die Jugend ist ein fremdes Land».
SJW-Heftli und Silva-Bücher
Sein Buch ist eine Art Wiedersehen mit seinen ganz persönlichen 50er-, 60er- und 70er-Jahren. Wir tauchen in einen Kosmos ein, als werktags noch Migroswagen in jeden Krachen hinausfuhren und nur am Samstag gebadet wurde, als es noch SJW-Heftli gab und auch Silva-Bücher, in die man die Bilder selber einkleben musste.
Ursprünglich wollte Alain Claude Sulzer sein Buch «Schweizer Jugend» nennen. Harald Schmidt hätte Spass daran gehabt, doch alle Landsleute rieten ihm von diesem Titel ab: Für die einen klang er, so Sulzer, «zu wehrdienstfördernd», für die anderen «zu wehrdienstzersetzend».
Jugend der Babyboomer
Der Titel wäre trotzdem präzis gewesen. Denn Sulzer gelingt über alles Individuelle hinaus ein Buch mit Erinnerungen, die viele sogenannten Babyboomer in der Schweiz so oder ähnlich haben dürften. Nur ist Sulzer auch in der Lage, sie prägnant, witzig und äusserst charmant zu schildern.
Wobei ihm seit je eine distanzierte Erzählhaltung näher ist als andern Autoren. Seine Kunst der Distanz und der Dezenz kommt besonders eindrucksvoll zur Geltung in diesen Erinnerungen an eine Jugend, die ihm fremd geworden ist.
Themen über man schweigt
Öfter staunt Sulzer selber über den seltsamen Teenager, der er einmal gewesen ist, wie er einst fasziniert zu «Le deuxième sexe» von Simone de Beauvoir griff, das die Mutter herumliegen liess.
Ausgerechnet von diesem Buch erhoffte er sich Aufschluss über das, worüber man am Familientisch kaum sprach. Später erfuhr er, dass offenbar auch die Mutter zuerst ihren Geistlichen konsultierte, bevor sie sich an die Lektüre dieser Feministinnen-Bibel heranwagte.
Sendung: SRF 2 Kultur, 52 Beste Bücher, 24.9.2017, 11.00 Uhr.