Die Familie Fischer in Reinhard Kaiser-Mühleckers Roman «Fremde Seele, dunkler Wald» hat den Boden unter den Füssen verloren. Auch im wörtlichen Sinn.
Der Hof ist nicht zu halten. Der Vater geht mit illusorischen Geschäftsideen dagegen an, bis auch noch das letzte Land und die letzte Kuh weg sind.
Zwei Brüder in prekären Verhältnissen
Kaiser-Mühlecker konzentriert sich auf die beiden Söhne der Familie, den minderjährigen Jakob und den fünfzehn Jahre älteren Alexander. Über den Zeitraum von zwei Jahren zeichnet er ihr Leben in wechselnden Episoden nach.
Jakob würde gerne als Bauer arbeiten, hat aber keine Chance. Alexander fasst trotz Karriere beim Militär nicht Tritt im Leben. Innerlich vielleicht fast noch mehr als äusserlich leben die beiden Brüder in prekären Verhältnissen.
«Wer nicht mithalten kann, muss aufgeben.»
Der Welt, die er schildere, gehe es an den Kragen, sagt Reinhard Kaiser-Mühlecker: «Sie möchte es aber zu einem guten Teil nicht sehen oder kann es nicht sehen, weil sie dann wüsste, dass ihre Zeit vorbei ist. Und was macht man, wenn seine Zeit vorbei ist?»
Auch der Autor stammt aus einer Bauernfamilie. Das Milieu, in das er geboren wurde, zerfällt durch die Globalisierung: «Wer günstiger wirtschaften kann, macht das Geschäft. Wenn man da nicht mehr mithalten kann, dann muss man eine uralte Lebensform aufgeben. Es ist vielleicht schwieriger, Lebensformen aufzugeben, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, als solche ohne diese lange Geschichte.»
Immer mal wieder fällt im Zusammenhang mit den Büchern des Oberösterreichers das Stichwort Heimatroman. Nichts könnte falscher sein. Reinhard Kaiser-Mühlecker macht die Welt seiner Figuren in einer stillen, behutsamen Sprache vielschichtig lesbar.
«Menschen, die nach Luft schnappen»
Gesellschaftliche Veränderungen kennten nicht nur Gewinner, sagt er: «Es gibt nicht nur die Macher und Alleskönner, die sich in der Zeit und der Welt bewegen wie die Fische im Wasser. Es gibt auch Menschen, die nach Luft schnappen, Schwierigkeiten haben, hadern.»
Solche Menschen stellt Reinhard Kaiser-Mühlecker ins Zentrum seines neuen Romans. Diskret und genau zugleich zeigt er ihre Suche nach einem Ausweg, der alles andere als leicht zu finden ist.
So heisst es von Jakob einmal: «Es kam ihm vor, als streiche er immer nur – suchend, suchend – entlang an einer glatten, fugenlosen Mauer.»
Schreiben als Suche nach der Tür
Reinhard Kaiser-Mühlecker studierte Landwirtschaft, Geschichte und Internationale Entwicklung. Zuerst schrieb er einfach nur für sich selbst, fern vom Gedanken an Veröffentlichung, fern auch von Förderung und Beeinflussung.
Das Schreiben war einfach eine Notwenigkeit. Es blieb existentiell, eine stete Suchbewegung wie jene seiner Romanfigur Jakob: «Wie das Leben ist das Schreiben ein Suchen nach der Tür, ein Tasten in einem Raum, in dem man nichts sieht.»
Sprachlosigkeit macht schutzlos
Die Romanfiguren auf ihrem Hof in Oberösterreich sind nicht aus der Zeit gefallen. Aber ihre Sprachlosigkeit macht sie besonders schutzlos. Sie können einfach nicht miteinander oder mit anderen reden und implodieren förmlich.
Sprachlosigkeit erfuhr Reinhard Kaiser-Mühlecker selbst. Er erfährt sie immer noch, will sie aber nicht dem ländlichen Milieu zuschreiben.
Wenn Beziehungen gelängen, gelänge ja auch das Sprechen: «Aber wenn etwas Risse bekommt, dann fällt in diese Risse auch die Sprache irgendwie hinein.»