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Klassiker unter der Lupe Robinson Crusoe, der abenteuerlustige Rassist

Warum wir die Geschichte von Robinson Crusoe heute anders lesen sollten? Sie trieft vor kolonialistischem Gedankengut.

Am 25. April 1719 veröffentlichte der englische Schriftsteller Daniel Defoe in London sein Meisterwerk «Robinson Crusoe». Die Leute rissen sich um das Buch. Schon im ersten Jahr wurde es dreimal neu aufgelegt.

Die Schicksalsgeschichte von Robinson Crusoe, dem schiffbrüchigen Seemann, der 28 Jahre lang auf einer einsamen Insel überlebte, fasziniert die Menschen seit 300 Jahren. Defoes Roman ist nach der Bibel und dem Koran das am drittmeisten aufgelegte Buch der Welt.

Wahre Geschichte

Defoes Erfolgsrezept: Er kombinierte ein packendes Abenteuer (Überleben auf einer einsamen Insel) mit faszinierender Exotik (Kannibalen und eine wilde, tropische Natur) und aktuellen, gesellschaftlichen Themen (Missionierung und Kolonisierung der Neuen Welt).

Dabei bediente sich Defoe bei der wahren Geschichte des schottischen Seemanns Alexander Selkirk. Dieser war wenige Jahre zuvor wegen versuchter Meuterei auf einer einsamen Pazifikinsel ausgesetzt worden. Vier Jahre lebte er dort, bis er gerettet wurde.

Tausende Robinsonaden

Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Geschichte von Robinson immer wieder modernisiert und neu erzählt. Es existieren tausende sogenannte Robinsonaden. Mal ist Robinson ein Deutscher oder Tiroler, statt Freitag gibt es eine Frau und die einsame Insel wird in die Antarktis oder ins Weltall verlegt.

Eine Illustration: Robinson Crusoe mit einem Einheimischen.
Legende: Die Geschichte von Robinson Crusoe und dem Einheimischen Freitag inspirierte viele weitere Robinsonaden. (Zeichnung um 1869) imago images / Artokoloro

Geblieben ist die Geschichte vom Schiffbrüchigen, der sich abseits der Zivilisation ein neues Leben einrichten muss. Diese Geschichte fasziniert bis heute – als Roman, Hörspiel, Graphic Novel oder Film, wie etwa «Cast Away» mit Tom Hanks.

Robinson, der Sklavenhalter

Den Wenigsten ist allerdings bewusst, dass Defoes «Robinson Crusoe» durch und durch rassistisch ist. Vor seinem Schiffbruch ist Robinson Sklavenhalter. Auf der Insel wünscht sich Robinson Sklaven: «Ich stellte mir nun vor, dass ich zwei oder drei Wilde, die ich in meiner Gewalt hätte, mir völlig unterwerfen und zu Sklaven machen könnte.»

Ein farbiger Steindruck: Robinson Crusoe zielt mit einem Gewehr auf drei schwarze Männer.
Legende: Was wohl aus Angst geschah, sah Crusoe als Schwur: Der Einheimische kniet vor dem mächtigen Sklavenhalter. (Farbdruck aus dem späten 19. Jahrhundert) imago images / Leemage

Dieser Gedanke ist es, der Robinson bewegt, einen Wilden vor den Kannibalen zu retten. Der gerettete Wilde scheint sich Robinson zu unterwerfen: «[Er] fiel gleich auf die Knie, küsste den Boden, legte seinen Kopf auf die Erde, ergriff meinen Fuss und setzte ihn auf seinen Kopf. Es schien mir, als solle es ein Schwur sein, mir immer als Sklave dienen zu wollen.»

Kolonialistische Verhaltensmuster

Es ist Freitag, der Einheimische, der sich Robinson da offenbar unterwirft. Die Anglistin Ana Sobral liest diese Stelle anders. «Robinson hat gerade zwei Menschen vor Freitags Augen getötet – mit einer Waffe, die er nicht kennt. Freitag muss Todesangst haben, natürlich kniet er vor diesem mächtigen Mann nieder», erklärt sie. «Robinson liest seine Körpersprache einfach als Bestätigung seines eigenen Wunsches, einen Sklaven zu besitzen.»

Robinson zeigt typische kolonialistische Verhaltensmuster: Er kolonisiert die Insel ungefragt und versklavt einen Bewohner dieser Insel. War diese Verhaltensweise vor 300 Jahren in Europa weitgehend akzeptiert, ist sie heute abstossend.

Solch problematische Inhalte, insbesondere von Weltliteratur, gilt es aufzuzeigen und in Bezug zu setzen – so wie das etwa Ana Sobral macht. Sie forscht und lehrt an der Univeristät Zürich auf dem Gebiet der «Postcolonial Studies». Die intensive Auseinandersetzung sei wichtig, ansonsten bleibe das (neo)-kolonialistische Gedankengut in unseren Köpfen.

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