Der Roman trägt die Lüge schon auf dem Buchdeckel: «Super, und dir?». Was wie Smalltalk klingt, ist in Wirklichkeit Selbstverteidigung. «Super» will «gut» überbieten – schafft es aber nicht.
Geschrieben hat das Buch Kathrin Wessling. Es ist der dritte Roman der 33-jährigen Deutschen. Wieder geht sie dahin, wo es wehtut. Ihr erstes Buch «Drüberleben» (2012) entstand in Anlehnung an ihren Blog, in dem sie über ihren Alltag mit Depressionen berichtete. Drei Jahre später erschien ihr Kurzgeschichtenband über Liebeskummer.
Seicht wie Smalltalk
Nun geht es Wessling um völlige Verleugnung. Oder die Unwilligkeit, Ängste und Schwächen in unseren Alltagsgesprächen auszupacken. So seicht wie Smalltalk ist auch der Plot von «Super, und dir?»: Der Berufseinstieg verlangt einer jungen Grossstädterin so viel ab, dass sie sich nur mit Drogen zu helfen weiss.
Ein bisschen Ritalin, ab und zu eine Line Speed, immer wieder Koks, schliesslich Schlafmittel, um dem Spuk ein Ende zu setzen. Ich-Erzählerin Marlene merkt nicht, dass ihr Konsum zu einer Sucht wird, aus der sie sich nicht leicht rauswinden wird. Ihrem Freund verheimlicht sie den Konsum, «alles super».
Auch Facebook zeigt, «wie absolut super alles ist, wie hübsch und dünn und erfolgreich» Marlene ist. Doch als ihr Urlaub, auf den sie lange gewartet hat, nicht genehmigt wird, bricht sie zusammen. «Etwas funktioniert nicht mehr, und dieses Etwas bin ich.»
Ideal und Realität
«Super, und dir?» ist das Drama einer seelisch zerbeulten Einserschülerin, die sich in der modernen Leistungsgesellschaft abhandenkommt. Man liest mit Beklemmung, wie Marlenes Selbsttäuschung und der Kontrollverlust ihr den Boden unter den Füssen wegziehen. Dabei steht ihr Innenleben im Kontrast zu ihrem inszenierten Selbst – im Netz, im Job, in der Liebe.
Der Präsentation in den Sozialen Medien liegt eine immanente Lächerlichkeit zugrunde, die Wessling ausstellt. Vor diesem Hintergrund begibt sich ihre Protagonistin auf eine heikle Gratwanderung zwischen der Sucht nach einem «super» Erscheinungsbild und der Sucht nach Aufputschmitteln.
Aber was heisst eigentlich «süchtig»? Diese Frage stellt sich schnell, taucht man in die Welt Marlenes ein. Die junge Frau ist weder besonders auffällig noch labil und weit davon entfernt, Junkie genannt zu werden. Sie erzählt die Geschichte der Leute, denen man nicht ansieht, dass sie schwach sein können.
Oberfläche abkratzen
Dabei rast die Autorin durch Marlenes brüchiges Leben wie ihre Protagonistin durch den Büroalltag und die Clubs. Mit Sprüngen, Rückblenden und einer Sprache, die an der Oberflächlichkeit der Wörter kratzt und zum Vorschein bringt, was junge Erwachsene innerlich zerstören kann: der ständige Zwang zur Selbstoptimierung. Eine Arbeitswelt, in der Ersetzbarkeit eine ganze Generation unter Druck setzt. Und Drogen als effiziente Reaktion auf unerwünschte Emotionen.
Gewiss erlebt Marlene letztlich nichts, was nicht viele andere auch durchstehen müssen. Doch Kathrin Wessling geht es nicht um «die Idioten, die die Kontrolle verlieren», sondern um ignorierten Kummer. «Denn wenn eigentlich alles gut läuft, dann ist das Leben eine Art Schuldschein. Die Schuld ist: es zu erhalten. Es zu schützen. Weiterzumachen. Nicht zu jammern. Um Himmels willen nicht zu jammern.»
Marlene ist nicht nur Volontärin für Marketing in einem «super» Konzern, sie ist auch eine Tochter, die erlebt, wie der Vater die Familie verlässt und die Mutter an der Scheidung zerbricht. Dabei braucht sie den Halt, den sie der Mutter gibt, selbst. Es sind Schicksalsschläge und der Schein im Netz, die Marlene dazu gebracht haben, ihre eigenen Bedürfnisse zu ignorieren.
Mit einer Lüge zur Wahrheit
«Super, und dir?» zeigt, wie eine Generation unter Druck gerät. Denn in Marlenes Welt – wo trotz befristeten Arbeitsverträgen «performt» werden soll, unterdrückter Kummer mit Drogen betäubt werden kann und wo das Maskierte-Netz-Ich mit dem realen Ich konkurriert – wird sich so manch ein Millennial wiedererkennen.
Über das Abdriften urteilt das Buch nicht. Es warnt vielmehr vor einem Leben, in dem man durch Ehrgeiz auch das Absehen von sich selbst perfektionieren kann.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 08.05.2018, 08:20 Uhr