Und plötzlich haben sie Krach, die alten Berliner Kämpen in der Autorenbuchhandlung unter den S-Bahn-Bögen am Savignyplatz. Die an sich völlig belanglose Frage, ob man nun in den frühen Achtzigern so oft wie möglich aus dem eingemauerten Westberlin geflüchtet ist oder nicht («Wir sind ja jedes Wochenende nach Helmstedt zum Kaffeetrinken gefahren!») wird heftig diskutiert («So’n Quatsch! Nur Idioten fahren nach Helmstedt!»).
«Abgestumpftes Hinterhofproletariat»
Anlass dieser Diskussion ist die Buchvernissage von Oskar Roehlers zweitem Roman «Mein Leben als Affenarsch». In diesem Roman gibt es zwei Hauptfiguren: Zum einen Robert, der Affenarsch. Zum andern das Westberlin der 1980er-Jahre. Im Gegensatz zu den meisten Leuten hier in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz verzichtet Roehler auf jegliche Westberlinromantik.
Im Gegenteil, er beschreibt das damalige Westberlin als «geistige Wüste», wo ein «abgestumpftes Hinterhofproletariat» zuhause ist, das «den Stumpfsinn des Brandenburgischen Hinterlandes» verkörpert. Da scheisst der Hausmeister in den Hinterhof, da verprügelt der Nachbar seine Frau. Da leben die Nazis wie Zombies, Wiedergänger des Bösen, Mörder, die man nicht mehr morden lässt.
Schaden durch das linksliberale Elternhaus
Doch da lebt auch eine neue Generation von Zugezogenen, die in Westberlin eine neue Subkultur aufbauen. Abhängige vom Sozialamt, geschädigte von einer wie auch immer missratenen Kindheit in Westdeutschland. Nachtaktiv und gierig wie die Vampire. Westberlin, die Stadt der Vampire und Zombies!
Einer der Zugezogenen ist Robert. Neben Westberlin die andere Hauptfigur. Im richtigen Leben heisst er Oskar Roehler. Hier Robert Frei. Er verdankt seinen Schaden dem linksliberalen Elternhaus. Die Mutter, eigentlich Gisela Elsner, verlässt ihn, als er dreieinhalb ist. Der Vater, in Wirklichkeit Klaus Roehler, säuft und schleppt lieber Frauen ab, statt sich um den Jungen zu kümmern.
Der Sumpf, den Roehler braucht
Und so kommt Robert nach Jahren im Internat und bei den Grosseltern nach Westberlin, wo er schreiben will. Das gelingt ihm nicht. Die Liebe zwischen ihm und der Literatur ist einseitig. Also nimmt er Drogen, stürzt ab, verheddert sich in einer Beziehung nach dem Motto «ficken, prügeln, trennen, ficken, prügeln, trennen».
Er arbeitet in einer Peepshow, später in einem Altenheim, wo es immer schön was wegzuputzen gibt, und bewegt sich immer näher an und über die Grenze zum Wahnsinn. Aber er findet in diesem Westberlin auch genau den Sumpf, den er braucht, um sich irgendwo rausziehen zu können. Das scheint ihm zu gelingen. Im Roman wie im Leben.
Der Autor findet seinen Weg
Denn Oskar Roehler wirkt so ganz anders als dieser Robert im Buch. Nichts erinnert mehr an diesen verkorksten und kaputten jungen Mann. Ob das mit dem Schreiben zu tun hat? Möglich, denn Oskar Roehler, der jahrelang als Filmemacher unterwegs war, spricht an dieser Vernissage in der Autorenbuchhandlung am Savignyplatz in Bezug auf seine beiden Romane von seinem Lebenswerk.
Einem Lebenswerk, dem er noch mindestens einen Roman hinzufügen will. Und so wird eine Sache klar an diesem Abend im ehemaligen Westberlin: Die Figur findet die Kurve, der Autor seinen Weg. Schön ist das. Und nicht voraussehbar.