Die Schweiz irritiert, noch bevor man auf der Buchmesse ist: «Use, use! So gang jetz use!», befielt die Stimme aus dem Lautsprecher im Tram 16, dem Tram zur Messe. Verdutzte Gesichter, Gelächter, und der Deutsche neben einem fragt: «Was meint der – Hose?»
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Wer hier die Leute im Tram zwischen dem Leipziger Hauptbahnhof und dem Messegelände so forsch zum Tram hinausspediert, sind die Autoren der Spoken-Word-Formation «Bern ist überall». Sie sagen während der Messe die Tramstationen an – eines von zahlreichen Projekten, mit denen die Organisatoren von «Auftritt Schweiz» auf das Gastland aufmerksam machen wollen. So hört man Pedro Lenz, Guy Krneta und Arno Camenisch auf der Fahrt zur Messe und ist bei der Ankunft ganz auf Schweiz eingestellt.
Gepflegte Zurückhaltung
Das Heimatgefühl kommt einem im Trubel der Messehallen rasch abhanden. Die Schweiz versteckt sich. Ein paar Schilder im Wanderwegweiser-Look zeigen überall hin, nur nicht Richtung Schweiz.
Schliesslich dann, der Pavillon: Stilvoll und zurückhaltend, frei von Klischees. Keine Kuhglocken, keine roten Sackmesser, keine Schokolade. Stattdessen schlichte Büchertische, Schweizer Belletristik und Bildbände unter kleinen Leselampen. Anecken geht anders.
Die Schweiz, verzweifelt gesucht
Bewegt man sich weg von der Messe und hinein in die Innenstadt, verfliegt der Schweiz-Schwerpunkt bald gänzlich. Eine kleine Buchhandlung hat alibimässig Martin Suter und Rolf Dobelli ins Schaufenster gestellt. Schweiz Tourismus wirbt mit Hochglanzbildern an Tramhaltestellen und hat ein Messetram rot eingekleidet. Und sonst? Fehlanzeige.
Blieben noch die roten Lesebänke. Sie sollen als «Wegmarke durch die Stadt leuchten, Parks und Plätze zieren», schrieben die Organisatoren im Vorfeld. Sie leuchten bescheiden: Gerade mal drei Bänke habe ich bei einem Stadtrundgang entdeckt – und auch nur Dank informierten Quellen.
Rätoromanisch – oder doch Latein?
Sei’s drum, nicht um Marketing soll es an einer Buchmesse gehen, sondern um Literatur. Und da punktet die Schweiz: Rund 80 Autorinnen und Autoren sind angereist, es gibt Dutzende Lesungen und Veranstaltungen – vom literarischen Speed-Dating bis zu Ausstellungen im Museum der bildenden Künste.
Zurück im Messetram kündigt Arno Camenisch die nächste Station auf Rätoromanisch an. Und löst damit eine kleine Debatte aus: Ein paar junge Schülerinnen fragen sich, ob das jetzt Schweizerdeutsch sei, es klänge doch eher Türkisch. «Latein!», sagt die eine, und bald schon diskutieren die Mädchen rege über die Vorzüge und Mühen einer «toten Sprache».
Die Autoren von «Bern ist überall» würden sich freuen: Sprache kann nach wie vor etwas auslösen. Man möchte es der Schweizer Literatur in Leipzig ebenfalls gönnen.