Wer Mittwochnacht nach 22 Uhr bei frühlingshaften Temperaturen durch die Leipziger Innenstadt flanierte, sah rot. Hunderte von roten Plastiktaschen mit weissem Schweizerkreuz schwebten an der Hand von geladenen Gästen durch Leipzig.
Das war aber auch fast das einzig sichtbare Zeichen dafür, dass die Schweiz in Leipzig angekommen war. Sonst war der Auftritt der Schweiz, was das Optische anbelangte, diskret. Es wurde nicht geklotzt. Die Schweiz setzte auf Phantasie und Witz, und sie kam damit an. Sowohl beim Leipziger Publikum wie auch bei den Vertretern der Literaturszene.
Bundesrat trifft den Ton
Einen wichtigen Beitrag zum geglückten Start in Leipzig lieferte Bundesrat und Kulturminister Alain Berset. Er überraschte die geladenen Gäste aus Politik und Kultur an der Eröffnungsgala mit einer klugen und witzigen Rede. Ein Highlight im sonst eher steifen Redemarathon.
Schon der Einstieg seiner Rede brachte das Publikum zum Schmunzeln. Alain Berset zitierte den österreichischen Autor Alexander Roda Roda: «Als Schweizer geboren zu werden, ist ein grosses Glück. Es ist auch schön, als Schweizer zu sterben. Doch was tut man dazwischen?» Mit einem schelmischen Blick ins Publikum sagte Alain Berset dazu: Man verwirrt die Welt, und danach erklärt man der verwirrten Welt die Schweiz. Damit hat er ausgesprochen, was die ganzen vier Messetage über im Raum stand: Die Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative.
Charmoffensive zur richtigen Zeit
Damit war das Thema lanciert. Denn die Irritation in Deutschland über den Entscheid an der Urne ist nach wie vor gross. Und die Erklärungslust der anwesenden Schweizer Kulturleute auch. Die Veranstalter von «Auftritt Schweiz» betonten im Vorfeld immer wieder, die Schweiz sei nicht Gastland, sie gehöre dazu. Und dann kam der Volksentscheid. Kaum eine Begegnung, kaum ein Gespräch, bei dem das Verhältnis Schweiz-Europa nicht thematisiert wurde. Der Auftritt Schweiz kam – ein Zufall – genau zum richtigen Zeitpunkt. Bessere Botschafter als die Literaten hätte die Schweiz zu diesem Zeitpunkt nicht finden können.
Phantasie statt Geld
Den Veranstaltern von «Auftritt Schweiz» standen nur bescheidene Mittel zur Verfügung. Sie setzten daher vor allem auf die Autorinnen und Autoren und auf Originalität. Das hat sich gelohnt: Mehr als 80 Autorinnen und Autoren reisten nach Leipzig und waren auf der Messe sowie an Veranstaltungen in der Stadt präsent. Höhepunkt des Schweizer Auftritts war das vielfältige Kulturprogramm im Schauspiel Leipzig, wo die Schweiz ihr Zentrum hatte. Da wurde anstelle von traditionellen Lesungen Literatur in vielfältiger Form geboten: vom Poetry-Slam-Länderwettkampf über Speed Dating bis zum Literaturschwingen.
Das Leipziger Publikum war neugierig und kam in Scharen. Auf dem Messegelände selber war die Schweiz dagegen weniger sichtbar, trotz Gesprächsforum und stimmungsvoller Lesesaal-Inszenierung. Heiterkeit lösten die Töne von «Bern ist überall» aus, mit denen einige Messe-Trams bespielt wurden. Auch wenn sie akustisch zum Teil schlecht zu verstehen waren.
Zusammenfassend kann man sagen: Der Auftritt der Schweiz war fein und leise. Doch wer die Ohren spitzte und die Augen öffnete, konnte eine verspielte und amüsante Schweiz entdecken.