Die Schriftstellerin Natascha Wodin hat den renommierten Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen. Die Jury zeichnete am Donnerstag in der Kategorie Belletristik ihren Roman « Sie kam aus Mariupol » aus.
Eine gerechtfertigte Auszeichnung, findet SRF-Literaturredaktor Felix Münger: «Natascha Wodins Werk überzeugt durch und durch. Das Buch erzählt eine fesselnde Geschichte, und das mit sprachlicher und formaler Meisterschaft.»
Die 71-jährige Natascha Wodin erzählt in der literarischen Biografie die Geschichte ihrer Mutter, die aus der ukrainischen Hafenstadt Mariupol stammte. Als junge Frau erlebte sie den Untergang ihrer Adelsfamilie im stalinistischen Terror, 1944 wurde sie von den Nazis als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt.
Zwölf Jahre später nahm sie sich das Leben. Ihre beiden Töchter waren da gerade vier und zehn Jahre alt.
Dem Verlorenen eine Sprache geben
Die Jury urteilte: «Natascha Wodin forscht nach ihrer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg aus der Ukraine nach Deutschland deportiert wurde. Eine literarische Biographie, die an die Geschichte der Zwangsarbeiter erinnert, und eine persönliche Spurensuche, die dem Verlorenen eine Sprache gibt.»
Natascha Wodin, in Fürth als Kind ukrainischer Zwangsarbeiter geboren und in Nachkriegslagern aufgewachsen, lebt seit 1994 in Berlin. In ihren Büchern (etwa: «Einmal lebt ich», «Erfindung einer Liebe», «Ehe») setzt sie sich vor allem mit den Themen Entwurzelung und Fremdheit auseinander. Für das Manuskript zu der jetzt nominierten Geschichte ihrer Mutter erhielt sie 2015 bereits den Alfred-Döblin-Preis.
«Ich wünsche mir, dass möglichst viele vom Ausmass der Zwangsarbeit im Deutschen Reich erfahren», sagte sie in einer ersten Reaktion.
Wodin setzte sich gegen die ebenfalls nominierten Romanautoren Lukas Bärfuss («Hagard»), Brigitte Kronauer («Der Scheik von Aachen») und Anne Weber («Kirio») sowie den Lyriker Steffen Popp («118») durch. Im vergangenen Jahr hatte Guntram Vesper mit seinem Roman «Frohburg» den Belletristik-Preis der Leipziger Buchmesse gewonnen.
Barbara Stollberg-Rilinger gewinnt in der Kategorie Sachbuch/Essayistik
In der Kategorie Sachbuch/Essayistik ging die Auszeichnung an Barbara Stollberg-Rilinger für ihr Buch «Maria Theresia. Die Kaiserin in ihrer Zeit». Das Werk erzähle auf neue und ungewöhnliche Weise das Leben einer der mächtigsten Frauen der Geschichte, hiess es. Stollberg-Rilinger (Jahrgang 1955) lehrt als Professorin für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster.
Übersetzungspreis für Eva Lüdi Kong
Den Preis für die beste Übersetzung erhielt die Schweizerin Eva Lüdi Kong für die Übertragung des Buchs «Die Reise in den Westen» von einem ungewissen Verfasser aus dem Chinesischen.
Eines der grossen Werke der chinesischen Literatur – die Geschichte vom Affenkönig, der sich zu einer abenteuerlichen Fahrt aufmacht, um die Schriften Buddhas zu holen – sei jetzt auch für uns zugänglich, hiess es. Lüdi Kong (Jahrgang 1968) lebte 25 Jahre in China, arbeitete in Lehre und Forschung und widmet sich bis heute vorrangig der Übersetzung und Kulturvermittlung.
Die Autorinnen nahmen die mit insgesamt 45'000 Euro dotierte Auszeichnung zu gleichen Teilen entgegen. Der Leipziger Buchpreis zählt zu den wichtigsten Literaturauszeichnungen in Deutschland. Er wurde zum 13. Mal verliehen.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 23.03.2017, 17:40 Uhr