Max Frisch schreibt in seinem eben veröffentlichten «Berliner Journal»: «Gast des Verlages ‹Volk und Welt›. Zweieinhalb Tage lang auf Händen getragen durch die Buchmesse.»
Fritz J. Raddatz, der freiwillig aus der BRD in die DDR emigriert war, prägte als Lektor in den 50-er Jahren die Atmosphäre des Verlags nachhaltig. Roland Links, der spätere Lektor und eine prägende Figur bei «Volk und Welt», stiess 1954 dazu. Schon bei seinem Eintritt gab es im Programm des Verlags Schweizer Autoren wie Walter Matthias Diggelmann. «Ein linker Schriftsteller aus der Schweiz bereicherte das Programm von ‹Volk und Welt› und rechtfertigte wieder einmal den Anspruch gegenüber dem Ministerium für Kultur, ein internationaler Verlag zu sein», schreibt Links in einem Artikel.
Die Welt ins Land holen
«Volk und Welt» war darauf angewiesen, deutschsprachige Autoren ins Programm zu holen. Die westdeutschen Autoren waren anfangs tabu und wurden später beim «Aufbauverlag» herausgegeben, dem anderen belletristischen Verlag der DDR. Da lag es nahe, sich auf Literatur aus Österreich und der Schweiz zu konzentrieren. «Stiller» von Frisch befand Roland Links schon früh für geeignet, doch durch eine unglückliche Verkettung von Umständen konnte man ihn erst zehn Jahre später verlegen. Dazwischen gab der Verlag aber manch anderes aus der Schweiz heraus: Dürrenmatt. Muschg. Walther Kauer, den in der Schweiz nur wenige kannten, der aber in der DDR als wichtiger Schweizer Schriftsteller galt.
Mit der ausgewählten Literatur wollte man die Welt ins Land holen, und literarische Strömungen der Weltliteratur repräsentieren. Doch jede Veröffentlichung musste von der Zensurbehörde genehmigt werden. Die kritischen oder heiklen Inhalte versuchte das Lektorat mit einem ausführlichen Nachwort abzumildern, und den Blick der Behörden in eine andere Richtung zu lenken. Bei Frischs «Biographie. Ein Spiel» wurden im Nachwort zum Beispiel besonders die gesellschaftspolitischen Aspekte des Stücks gegenüber den privaten hervorgehoben. Frisch fand das «Pfäffisch».
Hinter Mauern sah das keiner
In den Zensurakten wurde auch die Auflage festgehalten. Peter Bichsels «Kindergeschichten» stehen dort mit einer Auflage von 2500 Exemplaren. «In Wirklichkeit waren die Auflagen aber acht bis zehn Mal so hoch», weiss Siegfried Lokatis, Professor und Medienwissenschaftler der Uni Leipzig, der 2006 die Geschichte des Verlags «Volk und Welt» als Buch herausgegeben hat. «Bücher waren hoch begehrt und so konnte man hohe Tantiemen an westdeutsche Verlage umgehen. Hinter der Mauer sah das ja keiner».
«Bücher sind hier immer noch Schmuggelware», schreibt auch Max Frisch über seine Erfahrungen auf der Leipziger Buchmesse. Sowohl Frisch wie Peter Bichsel und Adolf Muschg schwärmen von den wertschätzenden Bedingungen, die man als Autor in der DDR erfuhr. «Wir gerieten in eine atmosphärisch privilegierte Stellung. Wir wurden verwöhnt», äussert sich Adolf Muschg dazu in einem SRF-Interview.
Bücherschmuggel führte zu Exmatrikulation
Bücher waren in der DDR das Fenster zur Welt. Das machte sie so begehrt. Und die Bücher, die nicht in der DDR erscheinen durften, waren noch viel begehrter. Christoph Links, Sohn des damaligen Lektors «Volk und Welt», erinnert sich, dass Studenten die Bücher am Schweizer Stand oft «mitgehen liessen». Was am Schweizer Stand stillschweigend gebilligt wurde. Doch wenn die Polizei einen Studenten am Ausgang mit einem entwendeten Buch erwischte, konnte das auch schnell einmal zur Exmatrikulation führen.
Die Leipziger Buchmesse beschreibt Muschg zu DDR-Zeiten als «Teil einer Topographie des Kalten Krieges». Und gleichzeitig, so Muschg, war es aber auch der Versuch, die Fronten zu unterlaufen. Für Muschg bot die Veröffentlichung in der DDR die Möglichkeit, ein paar anti-westdeutsche Ressentiments loszuwerden. Alles sei ein viel differenzierteres Spiel gewesen, damals. «Heute spielen wir Halma. Damals war es Schach», sagt Muschg.
2001 erschienen die letzten Veröffentlichungen bei «Volk und Welt». Die Namensrechte liegen heute bei Random-House. Vielleicht aber wurde dem Verlag das zum Verhängnis, was Peter Bichsel sagt. «Die DDR war ein Staat von Lesern. Nach dem Mauerfall gab es plötzlich keinen einzigen Leser mehr.»