Lieber Dügg
Ich weiss auch nicht, welcher Teufel mich geritten hat, Dir einen Liebesbrief zu schreiben.
Ist wieder so eine sentimentale Idee zur Weihnachtszeit, irgendwas «Kulturelles», von Radio SRF 2 Kultur, schnödete ich über immerhin meinen unentbehrlichen Lieblingssender, als die mich anriefen, ob ich da mitmachen würde. Ich sagte ihnen, wollt ihr etwa sowas wie eine Laudatio, so ein himmelhochjauchzendes Lobes- gleich Liebesgerede, nein! nein! wehrte ich ab, Liebe ist etwas ganz anderes und ist nicht immer identisch mit dem, wo und wie und durch wen ich in meinem Theaterleben beeinflusst war oder wer prägend für mich war, na, und wie das alles so benannt wird.
Aber dann dachte ich plötzlich, doch Dir kann ich so einen Liebesbrief schreiben, nur wie?
Es ist ja so, dass unsre Tätigkeit Spielen (und da rechne ich die Regie dazu, auch du bist ein Spieler), dass also unsere Tätigkeit Spielen immer was mit Liebe zu tun hat. Und wenn es nicht so ist, völlig sinnlos und schrecklich.
Es gibt auch, wie im richtigen Leben, manchmal kurze Affairen, lange Ehen gefolgt von Zerrüttung, leidenschaftliche Abenteuer, Anschaffen gegen Geld, sadomasochistische Verirrungen oder langweiliges Nebeneinander-Herleben und dergleichen mehr, wenn ich nun auf mein fast fünfzigjähriges Theaterleben blicke.
Aber Du bist für mich immer ein LIEBender gewesen und bist es immer mehr.
Wenn eine Arbeit mit Dir anfing, betrat ich einen Garten mit schönen, manchmal vertrauten heimischen oder exotischen Pflanzen und Tieren, seltsamen Vögeln, und es war Dein Garten, Du gabst allen einen Namen, und daraus entstand die Sprache, Du nahmst mich bei der Hand, zeigtest mir alles, manchmal auch etwas, wo ich gar nichts erkennen konnte, und trotzdem fand, «doch das ist jetzt wahr», und Du halfst mir, dass es immer als meine Entdeckung erschien.
Jedem von uns Mitspielern gabst und gibst Du das Gefühl, geliebt zu werden.Wenn ein falscher Ton aufkommt, aus lauter Eifer, sagst Du «das bist nicht Du, bleib Du selbst», und dann hören wir manchmal auf, sitzen wieder am Tisch, lesen aufs neue den Text, gehen essen und trinken, dann geht jeder wieder seiner Wege, beugt sich wieder allein über die nächste Szene, und wir sind in Deinem Garten geborgen, und Theater ist uns Heimat.
So oft haben wir nicht zusammen gearbeitet, aber es waren immer wichtige Stationen in meinem Leben. Deine Hauptanweisungen als Regisseur sind: «Erklär es mir nicht, sag es mir» oder «lass das weg» oder zoing zoing zoing (das den zu sprechenden Text darstellt) und dann «also gut».
Einmal durfte ich Dich inszenieren, das ist lange her, Du spieltest den Jouvet in «Der Regisseur und die Schauspielerin» ein Pas de deux mit Annelore Sarbach als Elvire. Es ging genau um das Thema «Liebe», Elvire zu Don Juan, der Regisseur zur Schauspielerin, die Schauspielerin zum Regisseur.
Du warst in dieser Aufführung so authentisch, Du als Regisseur, dass alle dachten, Du hättest das inszeniert, in der Kritik wurde ich nicht einmal erwähnt. Damals hat es mich ein bisschen gekränkt, auch dass Du nichts tatest, um das Bild zu korrigieren. Aber später, als ich grosszügiger mit mir und mit Dir war, fand ich, ja, ich muss es doch ganz gut gemacht haben, wenn es so authentisch war.
Heute sind wir viel älter geworden, der Altersunterschied von zehn Jahren ist der Gleiche geblieben, aber das verwischt sich oder vertanzt sich,würde ich sagen.
Heute bin ich froh,wenn Du mich an die Hand nimmst und mich führst, beim Paartanz ist es ja auch so. Du und ich, wir müssen auch nicht mehr recht haben.
Lieber Dügg, ich wünsche mir, dass Du gesund durch den Winter kommst, damit wir «Schönes» machen können im Frühling, Du weisst, was ich meine. Ich sende Dir viele guks (Grüsse und Küsse)
Nikola