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Literatur Adolf Muschg: kritischer Patriot und europäischer Intellektueller

Adolf Muschg wird 80. Der Schriftsteller, der stets mit grösster Leichtigkeit elegant und virtuos schrieb, machte es sich in politischen Auseinandersetzungen nie leicht. Der Intimfeind Christoph Blochers stürzte sich immer wieder in gesellschaftliche und zeitkritische Debatten.

Beide siedeln sie heute im privilegierten Bezirk Meilen an Zürichs Goldküste: in Herrliberg der millionenschwere Unternehmer und rechtspopulistische Volkstribun – in Männedorf der eloquente Schriftsteller und kosmopolitische Citoyen.

Blocher, der schon früh kritische und liberale Geister ins Visier nahm, schoss mit scharfem Geschoss direkt auf Muschg, als dieser 1997 in seiner Streitschrift «Wenn Auschwitz in der Schweiz liegt» die pharisäerhaften Unschuldspose der offiziellen Schweiz geisselte. Dabei ging es um das Unrecht gegenüber den vom Nationalsozialismus Verfolgten und ihren Vermögenswerten. Adolf Muschg hat sich der Fehde mit Argumenten und – mit der Figur Schiess im Roman «Sax» – auch in einem karikierenden Porträt Blochers gestellt.

In der US-Bürgerrechtsbewegung politisiert

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Dabei war es Adolf Muschg nicht in die Wiege gelegt, als politischer Essayist und streitbarer Bürger zu einer der im In- und Ausland meist gehörten Stimmen zu werden. Als Sohn eines fast pietistischen Primarlehrers aus Zollikon mit biblischer Strenge zur Bravheit bestimmt, absolviert Muschg zunächst das übliche Programm: Matura, Offiziersschule, literaturwissenschaftliches Studium (den 36 Jahre älteren Halbbruder Walter, eminenter Germanist an Basels Universität, vor Augen): Erst nach Promotion und Lehrtätigkeit sowie einem ersten Japanaufenthalt und dem Romandebüt «Im Sommer des Hasen» wird Muschg Ende der 1960er-Jahre in den USA politisiert – in der Bürgerrechtsbewegung und im Protest gegen den Vietnamkrieg.

Zurück in der Schweiz, gehört Muschg, als Romancier und Theaterautor inzwischen etabliert, zu den Gründern der «Gruppe Olten»; er tritt der SP bei und führt 1975 einen so engagierten wie letztlich erfolglosen Wahlkampf als Zürcher Ständeratskandidat.

Beharren auf Differenzierung und Analyse

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Für die Totalrevision der Bundesverfassung formuliert er 1977 eine Präambel, von der immerhin ein bemerkenswerter Satz Eingang in unser Grundgesetz gefunden hat: «… gewiss, dass frei nur bleibt, wer seine Freiheit gebraucht, und dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen; eingedenk der Grenzen aller staatlichen Macht und der Pflicht, mitzuwirken am Frieden der Welt, haben Volk und Kantone …»

Was Adolf Muschg neben der fundamental anderen Grundhaltung von der polemischen SVP-Rhetorik seit je unterscheidet, ist das Beharren auf Differenzierung und selbstkritischer Analyse. Muschg insistiert auf der Komplexität der Fragestellungen und überrascht, auch selbstkritisch, immer wieder mit eigenwilligen Bezügen und Verweisen.

Für eine Einheit in der Vielfalt

Als von der griechischen Polis ebenso wie den Idealen der Aufklärung inspirierter Geisteswissenschafter hat Muschg die europäische Idee seit je nicht nur als Friedensstifterin nach den Kriegskatastrophen des 20. Jahrhunderts, sondern auch als realpolitische Konkretisierung eines Gesellschaftskonzepts verstanden. Freilich nicht als Absolutismus der Ökonomie, sondern im Gleichgewicht der Kräfte mit «sehenden Bürgern statt verblendeter Verbraucher». Gerade angesichts des gegenwärtig vielerorts reanimierten Nationalismus beeindrucken Hellsichtigkeit und Kontinuität in Muschgs Eintreten für eine Einheit in der Vielfalt, für durchlässige Grenzen ohne Aufgabe des Eigenen.

Nur wer die Vergangenheit kennt, hat Zukunft

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Adolf Muschg: «Im Erlebensfall, Versuche und Reden 2002–2013», Verlag C.H. Beck 2014.

Und während sein Widerpart Blocher – persönlich, wie Muschg moniert, ein Profiteur der Globalisierung – hemmungslos ideologisch die helvetische Mythologie bemüht, glättet der Schriftsteller keine Widersprüche. Muschg analysiert die Geschichte vorurteilslos genau, im Wissen, dass «nur wer die Vergangenheit kennt, Zukunft hat» (W. Humboldt).

Wie wenige seiner Generation hat Adolf Muschg sich immer wieder ins Schlachtgetümmel gesellschaftlicher und zeitkritischer Debatten gestürzt und sich dabei auch mal heillos verrannt – man denke an die unhaltbare Absolution für den Schüler-Missbrauch an der Odenwaldschule. Insgesamt besticht sein äusserst facettenreiches Werk durch dem Gegenstand stets angemessene Argumentationstiefe, durch Phantasie und Scharfsinn.

Ein eleganter und virtuoser Schreiber

Daneben hat er sich auch der Kärrnerarbeit in Institutionen gestellt, die Leitung der Berliner Akademie oder die Aufbauarbeit am interdisziplinären Zürcher «Collegium Helveticum» mögen als Beispiel genügen.

Adolf Muschg, der mit grösster Leichtigkeit elegant und virtuos zu schreiben weiss, hat es sich in der politischen Auseinandersetzung nie leichtgemacht. Sein gesellschaftlich wirkmächtigstes Buch ist wohl jenes, zu dem er nur das Vorwort beigesteuert hat, das ohne ihn aber wohl nicht erschienen wäre: «Mars» von Fritz Zorn, die schonungslose Lebensbeschreibung eines auf den Tod krebskranken Goldküstenabkömmlings, das zum Epochen-Manifest geworden ist.

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