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Literatur Alfred Andersch und ein neues Kulturradio

Der Schriftsteller Alfred Andersch, gestorben 1980 im Tessin, würde am 4. Februar hundert Jahre alt. Er war eine der prägenden Persönlichkeiten des deutschsprachigen Nachkriegsrundfunks. Als Autor und Redakteur hat er die Entwicklung eines neuartigen Kulturradios massgeblich mitbestimmt.

Der 1914 in München geborene Alfred Andersch wurde bekannt als Redakteur der aufsehenerregenden Zeitschrift «Der Ruf», die er 1946/47 gemeinsam mit Hans Werner Richter herausgab. Andersch entdeckte in jener Zeit noch ein anderes Medium für seine publizistischen Neigungen: den Rundfunk. Dort schuf er von 1948 bis 1958 als Redakteur bei Radio Frankfurt (später Hessischer Rundfunk), beim Nordwestdeutschen Rundfunk in Hamburg und beim Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart nach dem Vorbild der Dritten Programme der BBC ein Kulturradio von höchstem Niveau.

In seinen Sendungen kam die literarische Moderne des In- und Auslandes zu Wort: von Jean-Paul Sartre bis Samuel Beckett, von Theodor W. Adorno bis Hans Werner Henze, von Wolfgang Koeppen bis Günter Grass, von Ingeborg Bachmann bis Arno Schmidt.

Radio-Essays

Als Leiter des legendären Stuttgarter «Radio-Essays» (1955–1958) rückte Andersch in den Rang des Literaturförderers grossen Stils, der illustre Mitarbeiter wie Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser und Helmut Heissenbüttel um sich scharte und zugleich die bedeutendste literarische Zeitschrift der 50er-Jahre redigierte: «Texte und Zeichen». In der Reihe «Radio-Essay» versammelte Andersch den gesamten Kosmos des Kulturradios: von der Rezension über Lesung, Diskussion und Feature bis zum Feuilleton und Hörspiel.

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Hans Magnus Enzensberger über die Zusammenarbeit mit Alfred Andersch beim SDR in Stuttgart (Aufnahme: Radio Bremen 2009)
03:09 min
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 9 Sekunden.

Damit beförderte er nachhaltig den intellektuellen Diskurs in der jungen Bundesrepublik und etablierte eine thematische Vielfalt, die über die Grenzen des traditionellen Hörfunks hinauswies. Die Sendereihe verstand Andersch als «Laboratorium neuer Formen im Rundfunk», die «hinsichtlich Qualität und Niveau die Zumutung höchster Ansprüche» dem Hörer abverlangen sollte.

Hörspiel-Avantgarde

Über den Autor

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Walter Weber ist Kultur-Redakteur bei Radio Bremen. Im Rahmen der Ausstellung «Alfred und Gisela Andersch» im Museum Strauhof der Stadt Zürich präsentiert er mit seinem Kollegen Michael Augustin eine Ton-Bildschau zu Alfred Andersch: Dienstag 4. Februar, 19.30 Uhr, Literaturhaus Zürich.

Alfred Andersch selbst war bereits seit seiner Zeit bei Radio Frankfurt als Autor von Hörspielen und Hörbildern in Erscheinung getreten – mit Arbeiten wie «Biologie und Tennis» (1950) oder «Menschen im Niemandsland» (1952). Zu den Klassikern des deutschsprachigen Hörspiels zählen unter anderem «Fahrerflucht» (1958) und «Der Tod des James Dean» (1959). Eines seiner ambitioniertesten Projekte beim Süddeutschen Rundfunk war das mit experimentellen Formen arbeitende «Studio-Hörspiel». Eine Reihe, die vom traditionellen Hörspiel deutlich abwich und avantgardistische Tendenzen förderte – unter anderem durch bahnbrechende Funkbearbeitungen von Stücken prominenter Autoren: «Professor Taranne» von Arthur Adamov (1956), Samuel Becketts «Endspiel» (1958), «Die Revolte von San Nazarro» von Hans Werner Henze (1957), «Hochwasser» von Günter Grass (1957) oder «Die Uhren» von Wolfgang Hildesheimer (1958).

Radiopionier mit Publikumsresonanz

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Peter Kehm, ehem. Programmdirektor des SDR, über die Bedeutung des Hörspiels in den 50ern (Aufnahme: Radio Bremen 2009)
02:41 min
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Trotz des hohen Anspruchs erzielten die Programme von Alfred Andersch eine erstaunliche Publikumsresonanz – eine Tatsache, die für sein Verständnis von «Qualitäts-Radio» spricht. Andersch selbst hat 1970 in einem Rundfunk-Interview rückblickend geurteilt: «Man meint immer eine literarisch anspruchsvolle Sendung, die gewisse Ansprüche stellt, die würde von einem breiten Publikum nicht verstanden werden. Das stimmt aber nicht. Das ist eine – ich möchte sagen – Misskonzeption über den Bildungsgrad, über das Interesse breiter Schichten des Publikums. Und ich habe keine so niedrige Meinung vom Publikum, wie das oftmals scheinbar – ich sage scheinbar – bei den für die Programmeinteilung Verantwortlichen in den deutschen Rundfunkhäusern der Fall ist. Und die Wirkung des Hörfunks könnte wesentlich gesteigert werden, wenn das Gesamtprogramm in seiner Qualität angehoben würde».

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