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Foto der Installation «Key Note» von Michael Christian: Die Skulputur zeigt einen Menschen, der einen Riesenschlüssel hinter sich herzieht.
Legende: Der Schlüssel zur Tür, hinter der die Heldin eine destruktive Beziehung erwartet. Flickr/William Neuheisel

Literatur Amélie Nothomb erzählt «Blaubart» als Sadomaso-Beziehung

In Frankreich ist die belgische Schriftstellerin Amélie Nothomb ein Star. Jedes Jahr ein Buch, jedes Jahr auf der Bestsellerliste. Jetzt ist ihr jüngster Roman «Blaubart» auf Deutsch erschienen. In leichtfüssigen, frechen, scharfzüngigen Dialogen interpretiert sie das Märchen vom Frauenmörder neu.

Endlich ist er auch auf Deutsch erhältlich: Amélie Nothombs jüngster Roman «Blaubart». Ein Roman über eine junge Frau, Saturnine, die eine gefährliche Vorliebe für Gold hat. Die Rahmenhandlung orientiert sich am klassischen Märchen Blaubart von Charles Perrault aus dem 17. Jahrhundert. Amélie Nothomb interpretiert aber das Märchen vom frauenmordenden Blaubart neu und situiert es in der Gegenwart.

Buchhinweis

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Amélie Nothomb: «Blaubart.» Diogenes Verlag, 2014.

Die Kammer ist ein Fotolabor

Saturnine heisst die Hauptfigur. Sie ist eine junge, selbstbewusste Frau, die ihre Vorliebe für Gold, Luxus und Reichtum eher zufällig entdeckt. Don Elemirio, ein Spanier aus adligem Haus, vermietet ihr ein Zimmer in seinem Pariser Stadtpalais. Von den hohen Räumen und den prächtigen Stuckaturen beeindruckt, sieht Saturnine darüber hinweg, dass sich um Don Elemirio schlimme Gerüchte ranken.

Acht seiner Untermieterinnen sind bereits verschwunden. Von ihnen fehlt jede Spur. Für Saturnine ist klar: So ein günstiges Zimmer Mitten in Paris kriegt sie nicht noch mal. Und: Einmal Luxus, immer Luxus. Sie denkt nicht dran, dieses prachtvolle Zimmer wieder gegen ihre traurige Absteige in der Banlieue einzutauschen. Selbst dann nicht, als sie von der Dunkelkammer erfährt. Don Elemirios Fotolabor – Zutritt unter Strafandrohung strengstens verboten.

Torte Saint-Honoré und prickelnder Champagner

Saturnine unterschätzt diesen Mann, der Mitte 40 ist und sie leidenschaftlich umwirbt: Mit selbstgebackener Torte Saint-Honoré, mit goldprickelndem Champagner und einem Kleid aus goldenem Samt, dermassen schön, dass Saturnine plötzlich ihren Gefühlen nicht mehr sicher ist.

Ungemein subtil und in der Mache grandios, zeigt Nothomb auf, wie auch ein kritischer Geist nicht davor schützt, sanft eingelullt, umgarnt und letztlich manipuliert zu werden. Saturnine versucht zwar, Don Elemirio mit schlagfertigen Äusserungen auf Distanz zu halten. Doch irgendwann bricht ihre Schutzmauer ein. Und sie ertappt sich selbst beim Gedanken, nicht an seine Schuld glauben zu wollen.

Von Sadisten und Selbstüberschätzung

Blaubart ist ein Märchen, das viel Stoff bietet, um menschliche Abgründe darzustellen. Don Elemirio ist ein Sadist, der sich hinter seiner spanischen Adelswürde wunderbar verstecken kann. Und Saturnine überschätzt sich masslos, wenn sie meint, Don Elemirio könne ihr nicht gefährlich werden.

Nothomb entlarvt im Zusammenspiel der beiden die Mechanismen einer destruktiven, sadomasochistischen Beziehung. Sie zeigt auf, wie Saturnine – symbolisch gesprochen – ihren inneren Blaubart umbringen muss, um aus ihrer Opferrolle auszubrechen. Eine reife Leistung – auch von der Autorin selbst.

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