Friedrich Schiller, Arthur Conan Doyle, Oliver Sacks – einige der berühmtesten Schriftsteller waren Mediziner. Es gibt aber auch sehr viele Mediziner, die schreiben, ohne dass es die breite Öffentlichkeit bemerkt. Sie schreiben in ihrer Freizeit und tauschen sich rund um den Globus aus.
Es gibt einen jährlichen Weltkongress der Schriftstellerärzte und in vielen Ländern nationale Verbände wie die Schweizer Vereinigung schriftstellernder Ärzte und Ärztinnen ASEM. Schreiben sei in ihrem Beruf halt naheliegend, sagt die Präsidentin der ASEM, die heute pensionierte Ärztin Françoise Verrey Bass: «Ärzte sind nicht nur nah beim Menschen, sondern auch nah bei der Sprache. Wir reden viel mit den Patientinnen und Patienten, schreiben Krankengeschichten – und von da ist der Schritt nicht weit zum literarischen Schreiben.»
Erlebtes verarbeiten
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Schreiben habe auch einen therapeutischen Effekt: «Viele Kollegen und Kolleginnen beginnen während oder nach Auslandeinsätzen, etwa bei Médecins Sans Frontières, zu schreiben», sagt die Neurologin aus Biel. Belastende Erfahrungen in Kriegsgebieten und Hungerregionen lassen sich besser verarbeiten, wenn das Erlebte aus einem anderen Blickwinkel nochmals überdacht und in eine künstlerische Form gebracht wird.
Dasselbe gilt für den ganz normalen, oft hektischen Spital- und Praxisalltag: Wer schreibt, kann das Erlebte künstlich verlangsamen und reflektieren. Viele Schriftstellerärzte schreiben auch über Leichtes und Nicht-Medizinisches wie den Frühling oder die Liebe, wobei Leben, Leiden und der Tod wiederkehrende Themen bleiben.
Lebendige Szene
Weltweit sind schreibenden Ärzte überraschend aktiv. Die Szene kennt eigene Zeitschriften und Wettbewerbe wie den internationalen «Hippocrates-Prize», der Mitte April wieder verliehen wird – in einer speziellen Kategorie auch an Poeten und Poetinnen des britischen Gesundheitswesens.
Die in den USA von Ärzten gegründete literarische Medizinzeitschrift «Bellevue Literary Review» steht sogar im Ruf, wegen den vielen Einsendungen mehr Beiträge ablehnen zu müssen als das renommierte Wissenschaftsmagazin «New England Journal of Medicine».
Weniger Nachwuchs
In der Schweiz hingegen tauscht sich die Schriftstellerärzteschaft heute weniger intensiv aus als auch schon, sagt Françoise Verrey Bass. Ihre Vereinigung, die ASEM, habe kaum mehr junge Mitglieder. Die Jungen würden ihre knappe Freizeit lieber mit der Familie verbringen als im Vereinsleben.
Dennoch lebe der schriftstellernde Arzt weiter: «Ich kenne verschiedene, auch junge Kollegen, die morgens früh aufstehen, um fünf Uhr, um vor der Arbeit noch eine Stunde zu schreiben.» Auch in der Schweizerischen Ärztezeitschrift publizieren die Poeten und Schriftstellerinnen im weissen Kittel regelmässig Literarisches; die Zeitschrift hat dafür eine eigene Rubrik namens Schaufenster.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 30.3.2016, 8.20 Uhr.