Als Historiker ist er längst weltweit ein Star: Mit den Bestsellern «Der taumelnde Kontinent» über Europa vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs und «Die zerrissenen Jahre» über Europa und Amerika vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs schuf Philipp Blom Standardwerke.
Auch als Philosoph sorgte Blom für Furore – vor allem mit Werken über die Epoche der Aufklärung. Seine allererste Liebe aber gilt dem Roman, der schon oft totgesagt wurde. «Aber solange es Menschen gibt, wird es ein Bedürfnis nach Geschichten geben.»
Bleiben oder gehen?
Nun ist Philipp Bloms dritter Roman «Bei Sturm am Meer» erschienen. Und wie in seinen historischen Arbeiten geht es auch darin um eine Entscheidungs- oder Scharnierphase.
Ben, ein Marketingexperte in der Mitte des Lebens, steht vor der Frage: Soll er seine Partnerin, die im Beruf ebenso gestresst ist wie er, und seinen vierjährigen Sohn verlassen, um ein lukratives Job-Angebot in Paris anzunehmen?
Vater, der vermeintliche Held
Noch bevor er sich entscheidet, erfährt er, dass seine in Holland lebende Mutter im Sterben liegt. Ben war ohne Vater aufgewachsen.
Stets hatte ihm die Mutter den Vater als Helden beschrieben, als investigativen Journalisten, der während einer gefährlichen Recherchereise in Kolumbien angeblich entführt und ermordet worden war.
Nach dem Tod der Mutter liest Ben Briefe in ihrem Nachlass, die belegen, dass der Vater weder entführt noch ermordet wurde. Bens Mutter wollte einfach, dass der Vater tot war, weil er sich gegen sie entschieden hatte.
Ihr Sohn sollte nicht wie der Vater werden. Der Vater war auch alles andere als ein Held gewesen, sondern einfach nur ein egozentrischer Pulverkopf, der aus der 1968er-Bewegung hervorgegangen war und sich das Leben zu seinem eigenen Vorteil zurechttheoretisiert hatte. Also erfand die Mutter für Ben einen abwesenden Idealvater – einen Helden.
Brief an den Sohn
Ben möchte nun, dass sein eigener Sohn einmal ohne Familienlügen leben kann. Für ihn schreibt er einen langen Brief. Lesen soll der Sohn den Brief allerdings erst, wenn er so alt ist wie sein Vater jetzt. Wenn er selber vielleicht schon im Glashaus sitzt und seine eigene Familie möglicherweise verlassen will, um sein Leben zu verändern.
Bens Mutter hatte selber eine schwere Kindheit gehabt als Deutsche im Holland der Nachkriegszeit. Sie galt als Feindeskind, hatte in der Schule viel zu leiden, und ihre eigene Mutter verlor sich später immer mehr im Alkohol.
«Zu viel wollen vom Leben»
In «Bei Sturm am Meer» geht es um Heimatlose, die neu beginnen müssen, die alles besser machen wollen als die Eltern.
Der Roman handelt vom «Pursuit of Happiness», von Menschen, «die mehr wollen als nur einander, mehr wollen als nur einander und ein Kind, die vielleicht zu viel wollen vom Leben.»
Sie haben Träume und merken, wie schwer es ist, etwas wirklich zum Besseren zu verändern. Ben kommt irgendwann zur Einsicht: «Jeder Mensch realisiert im Laufe seines Lebens die Parodie seiner Träume. Je grösser die Träume, desto monströser die Parodie.»
Veränderung im Kleinen
Philipp Blom ist ein souveräner Erzähler, der Vergangenes und Gegenwärtiges grossartig zusammenbringen kann. In «Bei Sturm am Meer» zeigt er kammerspielartig konzentriert, wie schwer Veränderungen nur schon im Familiären durchsetzbar sind, damit die alten Illusionen und Lügen nicht immer weiterleben.