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Der Autor Claude Cueni mit Brille.
Legende: «Wenn ich schreibe, denke ich nicht an den Tod»: Claude Cueni. David Burkhardt

Literatur Claude Cueni schreibt, um das Sterben zu vergessen

Er verfasste Drehbücher für deutsche Krimiserien wie «Tatort» oder «Eurocops». Er schrieb erfolgreiche Historien-Romane und erfand Computerspiele. Aber die unglaublichste Geschichte von Claude Cueni steht jetzt in «Script Avenue»: ein Rückblick auf sein komisches und oft desaströses Leben.

Der 8. Juli 2009 versprach ein sonniger Tag zu werden. «Ich wachte mit einem Lächeln auf», schreibt Claude Cueni in seiner Autobiografie, «ich stieg aus dem Bett – und fiel wie ein Stein auf die Knie. Meine Arme waren eingeknickt, der Kopf schlug auf dem Steinboden auf.»

Es ist der grosse Wendepunkt in Cuenis Biografie: Die Ärzte stellten die Diagnose «Akute Leukämie». Sechs Monate lang lag er in der Folge im Spital auf der Isolierstation, unterzog sich Bestrahlungen und Chemotherapien und liess im Kopf sein ganzes Leben Revue passieren.

Wieder zuhause schrieb Claude Cueni diese Erinnerungen nieder, – oft entkräftet und benebelt von all den Medikamenten, aber getrieben vom Wunsch, das Manuskript abzuschliessen, bevor sein eigenes Leben zu Ende war. «Da es mein letztes Buch sein wird, soll es mein bestes werden», notiert er auf Seite 640. «Dieses werde ich noch schreiben, denn wenn ich schreibe, denke ich nicht an den Tod.»

Eine Art «Forrest Gump»-Roman

Claude Cueni hat sein Ziel erreicht; das Buch wurde fertig und stösst auf breites Echo. Dem Basler Autor ist ein berührendes, eindringliches Stück Schweizer- und Schicksalsgeschichte gelungen, dem jegliche Larmoyanz abgeht. Der Stil seiner Sprache ist direkt und gnadenlos, zuweilen sehr salopp, aber gleichzeitig geprägt von viel Humor und Selbstironie. Und genau diese Mischung von Tagik und Komik macht den Charme des autobiografischen Romans aus – und macht somit die Lektüre des oft auch happigen Inhalts erträglich: die einsame Kindheit im Jura, die rebellischen Jahre im Internat, der enorme Einsatz für seinen Sohn, der wegen einer medizinischen Panne bei der Geburt zum Spastiker wurde; der frühe Tod seiner grossen Liebe, der vielversprechende Neuanfang in Hongkong und die eigene Krebserkrankung.

Er habe eine Art «Forrest Gump»-Roman schreiben wollen, der auch 50 Jahre Zeitgeschichte spiegelt, sagt der Autor: «Ich hatte den Ehrgeiz, den Leserinnen und Lesern hier etwas Besonderes zu bieten: Einen intimen Einblick in Tiefen der menschlichen Existenz, ohne Rücksicht auf meine eigene Reputation.»

Behörden sind alarmiert

Buchhinweis

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Claude Cueni: «Script Avenue». Verlag Wörterseh

In einem Kapitel erwähnt Claude Cueni sexuelle Übergriffe eines Priesters in einem katholischen Internat in der Innerschweiz während der 70er-Jahre. Eine Zeitung hat den Vorwurf letzte Woche aufgegriffen, Behörden erwägen nun eine nachträgliche Abklärung der damaligen Vorfälle. Der Schriftsteller sieht sich plötzlich unfreiwillig auf der Klägerbank. «Eine aufgeblasene Sache», kommentiert er die öffentliche Aufregung. Das Internat habe ja schon lange den Betrieb eingestellt, und auch der sündige Präfekt sei wohl nicht mehr am Leben.

In einer Stellungnahme hat Claude Cueni nun seine Position zuhanden von Behörden und Bisthum klargestellt. Es hätten tatsächlich solche Belästigungen vor den Augen des Ich-Erzählers stattgefunden, sagt er, und aus der Optik dieses Pubertierenden werde die Szene im Buch beschrieben: «Diese Sicht ist natürlich sehr subjektiv, aber genau das macht ja auch den Roman aus.»

Fantasie als Fluchtort

Das Schreiben hat Claude Cueni gerettet; nicht erst jetzt, wo er täglich mit dem eigenen Sterben konfrontiert wird, sondern schon seit Kindsbeinen an. Pausenlos habe er Geschichten erfunden, «man konnte mich aufdrehen wie einen Wasserhahn, und ich begann zu erzählen».

Seine magische Welt war die «Script Avenue», ein Paradies im Kopf, wo all die Figuren und Schauplätze ihren Anfang nahmen. «Vielleicht trage jeder Mensch so eine verborgene Script Avenue in sich», notiert Cueni an einer Stelle, «für mich war es die einzige Möglichkeit, die verhasste Realität zu verlassen. Niemand wusste von dieser Avenue. Also konnte mir niemand folgen.»

Die Fantasie war der Nährboden für seinen Erfolg als Schriftsteller und hat ihm auch geholfen, die vielen Schicksalsschläge zu ertragen. «Die Script Avenue wurde mein Zuhause. Sie ist es bis heute geblieben.»

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