SRF Kultur: Haben Sie in Ihrer Kindheit Hörspiele gehört? Woran erinnern Sie sich noch?
Susanne-Marie Wrage: Das erste, an das ich mich erinnere, ist «Meister Eder und sein Pumuckel». Die Abenteuer eines kleinen Kobolds mit seinem Schreinermeister, bei dem er lebt. Fand ich grosse Klasse.
Hat Hörspiel mit Kindheit zu tun, mit Geschichten erzählen, zuhören, mit Bildern im Kopf?
Ich glaube schon. Ich erinnere mich, wie ich mit meiner Schwester in unserer kleinen Dachkammer sass und wir selber Hörspiele produziert haben – mit einem kleinen Kassettengerät mit integriertem Mikro. Wir erfanden wie wild Geräusche und Geschichten und wollten sie fertig haben, damit wir sie dem Besuch unserer Eltern sofort vorspielen konnten.
Heute machen Sie noch immer Hörspiele, wenn auch unter anderen Bedingungen als mit der Schwester. Was ist das Spezifische an Hörspielen?
Im besten Fall ist das sprechende Spielen ein fast meditativer Akt. Sprechen bedeutet zu denken. Man sieht Menschen ja denken, folglich hört man sie auch denken. Im Tonstudio ist man auf sich gestellt und ich höre mir zu, wenn ich Hörspiele oder Bücher einspreche. Ich bin also immer mit mir in Kontakt. Und ich merke sofort, wenn etwas nicht gestimmt hat, wenn ich nicht gedacht habe, was ich gesagt habe.
Was ist beim Hörspielen anders als auf der Bühne zu stehen oder Filme zu drehen?
Auf der Bühne – mit allen Sinnen – bin ich weiter von mir weg. Da bin ich mit allem und jedem in Kontakt, mit meinen Partnern, dem Publikum, dem Raum, der Stimmung. Und ich kann nicht sagen, komm wir machen das jetzt noch mal, ich muss also aufs Ganze gehen. Der Vorgang ist weniger intellektuell und kalkuliert.
Ich habe viele Stücke auf der Bühne gespielt, wo ich im Wesentlichen auf das Sprechen angewiesen war. In meinem letzten Stück «Das Himbeerreich», sprechen wir über fast zwei Stunden originale Gesprächsprotokolle von Bankern. Ich spiele die Rolle einer Investmentbankerin.
Wann immer möglich nähere ich mich einer Figur über ihre Worte. Meist hat die Sprache, der Text, die Körperlichkeit meiner Figuren ergeben. Also nicht ich schlüpfe in die Haut der Figur, sondern die sprechende – oder vielleicht besser «aussagende» – Figur schlüpft in mich und lässt mich sprechen.
Im Radiostudio haben Sie Publikum direkt vor sich und die Hörspiele gehen live über den Sender. Was verändert sich durch das Publikum zum «normalen» Hörspielbetrieb? Spielen Sie auf zwei «Ebenen»: für die Hörer daheim und die Zuschauer vor Ort?
Ich glaube, der Life-Act wird sich nicht besonders vom Studio-Take unterscheiden. Vielleicht werden wir ein bisschen aufgeregter und schneller sein. Ein bisschen ist es wohl wie eine Lesung vor Publikum, da wir ja nicht anfangen zu spielen und Kostüme anziehen.
Im Film oder im Theater hört und sieht man Sie. Wie müssen Sie anders gestalten, wenn das Bild entfällt? Wie wichtig ist dann Sprache und die Pausen dazwischen?
Sprache ist die absolute Verdichtung. Und die Stimme ist das unmittelbarste Instrument, das ein Schauspieler hat. Die Vertonung der Sprache durch eine menschliche Stimme ist Musik. Zuhören, das Feintuning zu erkennen, kleinste Zwischentöne hören; ich finde Sprechen ist eigentlich die Königsdisziplin beim Spielen. Bestenfalls steht man im Dienst der Sprache, der Worte, des Autors. Und wenn man «nur» gehört wird, während man spielt, muss man meiner Meinung nach grosse Zurückhaltung üben, um nicht überzuinterpretieren. Man muss «temperiert» sprechen. Den Zuhörer mit der Stimme zum Verweilen verführen. Vielleicht ist der Hörsinn ja ein empfindlicherer als der Sehsinn. Die Augen kann ich schliessen, die Ohren nicht wirklich.
Susanne-Marie Wrage an der SRF-Hörspielnacht
Einige haben die Befürchtung, Hörspiel sei eine aussterbende Erzählform und werde von Film und Video verdrängt, Hörspiel habe ein Defizit: ihm fehle einfach das Bild. Was kann denn Hörspiel?
Ich hoffe und glaube: Das Hörspiel wird immer leben. Vielleicht tritt ja das Gegenteil ein. In der Reizüberflutung kann man sich hinsetzen und das tun, was kaum einer mehr kann: zuhören.
Am Samstag gab es Miniaturen, es ging um «Kuss und Biss»? Gab es Lieblingssätze, Momente?
mir wässert
o rösi
der mund
nach deinen
rund
hundert
rosigen
pfund
AUU
ich bin
doch kein
schnitzel
rösi
zügle
die zähne
ein
(Kurt Marti)