Nur wenigen deutschsprachigen Schriftstellern und Intellektuellen wurde die Ehre zuteil, so leidenschaftlich verhöhnt, aber auch gefeiert zu werden wie Peter Weiss.
Er, der vor den Nazis nach Schweden geflüchtet war, fühlte sich nirgends zugehörig. Dabei suchte er unentwegt Gleichgesinnte, sogar in der DDR und auch in der Kommunistischen Partei Schwedens.
Die Nachwelt hat ihn dann nach seinem Tod 1982 erschreckend schnell entsorgt und vergessen. Zu Unrecht: Kritische Intellektuelle, die so entschieden zum Widerstand bereit sind wie es Weiss damals war, wären gerade heute wieder gefragt.
Schreiben als Schürfarbeit
Sein ganzes literarisches Leben lang trieb ihn die Frage um, wie man als Autor Kriege und Unterdrückung beschreiben kann, wie man darüber hinaus mit dem Schreiben, das er «Schürfarbeit» nannte, etwas gesellschaftlich bewirken und die Leute mobilisieren kann.
In den 1950er-Jahren wollte Peter Weiss zunächst einmal sich selber verändern, oder wie er sagt, «neu erschaffen». Ein Resultat davon ist der avantgardistische Roman «Die Situation», der erst postum im Jahr 2000 erschien.
Ein permanenter Befreiungskampf
Dieses Frühwerk spielt in Stockholm im November 1956. Nach dem niedergeschlagenen Aufstand in Ungarn versuchen Schriftsteller, Theaterleute, Maler und Journalisten Stellung zum Weltgeschehen zu beziehen, die eigene künstlerische und private Situation neu zu bestimmen. Von überall hallt es: «Wo stehe ich, was will ich, was habe ich für Möglichkeiten?»
In diesem Roman zeigt sich schon, was an diesem Autor fasziniert: Er befindet sich wie in einem permanenten Befreiungskampf, der zunächst vor allem auch ein Selbstbefreiungskampf ist.
Für Peter Weiss sind die Veränderung der Gesellschaft und die Veränderung der Individuen zwei zusammengehörende Prozesse. Einer der wichtigsten Ausgangspunkte war für ihn der Vietnam-Krieg. Weiss machte unermüdlich klar, wie dieser vermeintlich ferne Krieg doch jede und jeden etwas anging.
In Gegensätzen denken
Der Durchbruch kam 1964 mit dem Stück «Marat/Sade». Darin zeigt sich in aller Deutlichkeit das von Weiss angestrebte «In-Gegensätzen-Denken». Dem wirklichen Revolutionär Marat als Mann der Tat steht Sade gegenüber, Vorkämpfer der absolut freien Individuen.
Sade, der Mann des Wortes, warnt vor den Gefahren einer gewaltsamen Revolution, die zu einem entarteten Sozialismus in einem totalitären Staat führen könnte, also zu dem, was damals im Ostblock real existierte. Trotz der historischen Konstellation war das Stück klar in die Gegenwart gestellt.
Warum Auschwitz wieder möglich ist
Das traf noch mehr auf Peter Weiss' nächstes Stück «Die Ermittlung» zu. Die Idee dazu kam ihm, nachdem er 1963 den ersten Auschwitzprozess in Frankfurt am Main verfolgt hatte. Letztlich geht es Weiss nicht um eine Rekonstruktion des Prozesses oder eine Auseinandersetzung mit dem Holocaust.
Ihn interessieren die grundlegenden Ähnlichkeiten zwischen der kapitalistischen Gesellschaft, die Auschwitz ermöglicht hat und der kapitalistischen Gesellschaft, die in den 1960er-Jahren endlich den Prozess gegen Auschwitz-Täter zuliess. Für Weiss ist eine alternative sozialistische Gesellschaftsordnung nötig, um einen Rückfall in die Barbarei auszuschliessen.
Sein Opus magnum bleibt die «Ästhetik des Widerstands». Ein sperriges, sich oft auch verweigerndes Monster von einem Buch, das sich aber noch immer mit Gewinn lesen lässt. Die Ästhetik handelt von Widerstand, der mit einer Niederlage endet und doch Hoffnung lässt.