Jonas Breitenstein steht in der Mundart-Tradition Johann Peter Hebels, durch den er überhaupt erst zum Schreiben kam und zum Pionier der Baselbieter Mundartliteratur wurde. Wegen seiner Volksnähe und seinen bäuerlichen Helden wurde Breitenstein auch schon als «Baselbieter Gotthelf» bezeichnet. Allerdings sei Gotthelf sprachlich grobschlächtiger und ungnädiger mit seinen Figuren, urteilen Stefan Hess und Maja Samimi, zwei der Herausgeber von Breitensteins Werken. Bei Breitenstein gebe es keine schlechten, höchstens fehlgeleitete Menschen.
Aktuell werden die wichtigsten Werke von Jonas Breitenstein neu aufgelegt, betreut von einem Projektteam um Maja Samimi (Ortsmuseum Binningen) und Stefan Hess (Dichter- und Stadtmuseum Liestal). Band 1 der «Geschichten und Dichtungen» von Jonas Breitenstein ist kürzlich erschienen mit Gedichten, der hochdeutschen Erzählung «Die Baselfahrt« (1860) sowie das Mundartidyll «'S Vreneli us dr Bluemmatt» (1864). Noch 2014 soll Band zwei erscheinen mit der zweiten grösseren Mundart-Verserzählung «Dr Herr Ehrli».
«'S Vreneli us dr Bluemmatt»
Bei «'S Vreneli us dr Bluemmatt», eine Verserzählung in Baselbieter Dialekt aus Band eins, erstaunt der schier unerschöpfliche Wortreichtum und der Humor des erzählenden Pfarrers und Armenpflegers Breitenstein. Konservative Weltanschauung und Gottesfurcht, ebenfalls reichlich gepflegt in diesem Werk, erstaunen natürlich weniger.
Im «Vreneli us dr Bluemmatt» wird die unmöglich scheinende Liebe zwischen dem Medizinstudenten Jokeb und dem Bauernmädchen Vreneli erzählt, deren Väter sich heillos zerstritten haben. Romeo und Julia im Baselbiet – wäre da nicht der feine Unterschied, dass die beiden Liebenden am Ende heiraten dürfen und die Väter wieder miteinander reden. Ein Idyll eben, keine Tragödie.
Mehr als eine Liebesgeschichte
Doch Breitenstein erzählt viel mehr: Vom jungen Kanton Basel-Landschaft etwa – seit der Kantonsteilung in Basel-Land und Basel-Stadt sind erst rund 30 Jahre vergangen und schon sind leidenschaftliche Parteikämpfe im Gang. Eine radikaldemokratische Bewegung, die sogenannte «Rolle-Revision», versucht, die Basisdemokratie zu stärken und den Zentralismus und Bürokratismus einzudämmen.
Dass Breitenstein selber den herrschenden Staat der neuen liberalen Eliten mitträgt und selber mitgestaltet, wird im «Vreneli» überdeutlich: Der Feind des Landarztes Brun, eine Art «alter ego» des Dichters, ist der Bauer und Neo-Politiker aus der «Bluemmatt» im Oberbaselbiet, eine in der Dichtung richtiggehend karikierte Figur, die sich selber desavouiert durch ihr Reden und Handeln. Dennoch bricht Breitenstein nicht den Stab über ihm, sondern läutert ihn in einer nächtlich-stürmischen Katharsis, als es um das Leben seiner Frau geht.
Landarzt und Stadtdünkel
Die Verserzählung erschöpft sich aber weder in der Liebesgeschichte, noch im Politikum, denn wir erfahren ausführlich und sozusagen aus erster Hand Alltagsgeschichte aus dem 19. Jahrhundert: Vom Studentenleben, vom Dorfleben, vom Verhalten in starren Geschlechterrollen, von städtischem Dünkel, den der Stadtdialekt sanft karikiert, und vom bäuerlichen Leben. Breitenstein kannte bestens, wovon er schrieb: 1828 in Ziefen geboren, nach seiner Ausbildung in der Basler Vorortsgemeinde Binningen Pfarrer, Oberhaupt einer vielköpfigen, aber armen Familie, später Armenpfleger in der Stadt selber, wo er etwas mehr verdiente, war er sowohl im ländlichen Baselbiet wie in der städtischen Gesellschaft verankert und anerkannt.
Am meisten erfahren wir vom anstrengenden Leben als Dorfarzt. Etwa, wenn wir Doktor Brun begleiten, der zu Fuss durch die Sturmnacht auf einen stundenweit entfernten Einzelhof stapft, um eine Kranke zu behandeln, sich heillos verirrt und schliesslich auf dem Hof des Bluemmättlers, seines Erzfeindes, landet, dessen Frau gerade ebenfalls schwer erkrankt ist.
Hexameter in Baselbieterdeutsch
All dies hat Breitenstein in leichtfüssigen, selbstverständlich fliessenden Hexameter-Versen gedichtet, in einem prächtig bilderreichen, altmodischen Baselbieter Dialekt. Lesevergnügen und historischer Tiefenblick in einem:
«Los, wie chutet der Wind dur d'Nacht, wie prätscht's der der Rege
Nit an d'Läden und s Feister und macht ass d'Schiben im Blei inn
Schlottere! 's stürmt und hurlet und schüttet recht in der Herbstnacht.»