Mit seiner schlichten und von einem unaufgeregten Grundton getragenen Lyrik hat sich der deutsche Dichter Matthias Claudius (1740-1815) in die Herzen seiner Leserinnen und Leser geschrieben. Claudius beschwört ein von naiver Frömmigkeit getragenes Leben.
Von Zeitgenossen und auch manchen Literaturwissenschaftlern hat Matthias Claudius immer auch wieder Geringschätzung und Herablassung erfahren. Claudius‘ Vorbehalte gegenüber dem Rationalismus der Aufklärung forderten Kritiker heraus. In seiner «Biographie eines Unzeitgemässen» nähert sich nun der Musikwissenschaftler Martin Geck dem schwierig fassbaren Dichter und Denker Matthias Claudius an.
Martin Geck, Sie haben eine neue Biografie über Matthias Claudius verfasst. Was verbindet Sie persönlich mit diesem Dichter, den viele Menschen vor allem aufgrund seines «Abendlieds» kennen?
Im Elternhaus wurde nicht nur «Der Mond ist aufgegangen» gesungen, sondern auch das Erntedanklied «Wir pflügen und wir streuen». Als der jüngste von sechs Söhnen gefiel mir besonders das Lied von David und Goliath: Dass der kleine David den mächtigen Riesen mit seiner Schleuder besiegt, war mir eine besondere Genugtuung. Als Erwachsener lernte ich dann den Satiriker Claudius schätzen.
Matthias Claudius wuchs im 18. Jahrhundert zur Zeit des Absolutismus auf und erlebte dann die Französische Revolution. In seinem Werk finden sich verschiedentlich eine naiv anmutende Frömmigkeit und auch eine Absage an den Rationalismus. War er ein Konservativer und Bewahrer der alten Ordnung?
Er sah in der Französischen Revolution keinerlei Fortschritt, sondern nur Gräuel. Folglich hat er unter den politischen Verhältnissen ab 1789 sehr gelitten. Seine Devise war gut lutherisch: «Ein jeder sei der Obrigkeit untertan.» Freilich ermahnte er diese Obrigkeit beständig zu Gerechtigkeit, Güte und Gottesfurcht. Heute würde man sagen: Claudius war ein Wertkonservativer mit humoristischer und satirischer Schlagseite.
In der Literaturgeschichte wird er zum Sturm und Drang gezählt, manchmal auch zur Empfindsamkeit, gelegentlich sieht man in ihm auch einen Vorläufer der Romantik. In welcher Strömung sehen Sie Matthias Claudius?
Es ist ein Markenzeichen von Claudius, dass er sich keiner der genannten Strömungen eindeutig zuordnen lässt. Er erweist sich vielmehr als unabhängiger Kopf. Auch sein geistiges Umfeld ist vielfältig: Zu seinen Freunden zählte nicht nur der aufgeklärte Theologe und Philosoph Herder, sondern auch der Schweizer Physiognom Lavater, der bekanntlich mystischen Denkweisen nicht abgeneigt war. In späteren Jahren freundete sich Claudius mit dem frühromantischen Maler Philipp Otto Runge an. Ich würde ihn als christlichen Epikureer mit mystischem Einschlag bezeichnen.
Den grössten Erfolg hatte Matthias Claudius mit dem «Abendlied». Vor allem die erste Strophe von «Der Mond ist aufgegangen» ist bis heute Allgemeingut geblieben. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Es gibt wenige Lieder, die Wahrheiten menschlicher Existenz zwischen Freude am Dasein und Furcht vor den Unwägbarkeiten von Leben und Tod so unangestrengt auf den Punkt bringen – menschenfreundlich und gläubig zugleich. Das ist weder Hochkunst noch Triviallyrik, sondern die jahrhundertealte «protestantische Erzählung», die auch demjenigen etwas sagen kann, der nicht auf ein Jenseits hofft. Wer von uns teilt schon den einstigen Aufklärungsoptimismus, dem zufolge «alles machbar» war? Man ist schon froh, wenn es einem gelingt, «manche Sachen», die schieflaufen, wenigstens «getrost zu belachen», wie es im «Abendlied» heisst.
Als wie modern erachten Sie Matthias Claudius heute noch?
Claudius' Lebensweisheit ist alles andere als verstaubt. Doch Lebensweisheiten findet man auch bei anderen Menschen. Bedeutend bleibt der Dichter und Literat.