Imre Kertész' ganzes Werk dreht sich um den Holocaust als eine Umkehr aller Werte. 1929 in Budapest geboren, wird Kertész im Alter von 14 Jahren wegen seiner jüdischen Abstammung nach Auschwitz deportiert und 1945 in Buchenwald befreit – um in die nächste totalitäre Diktatur entlassen zu werden: in die kommunistische.
Blick auf den Holocaust ohne Didaktik
40 Jahre lang lebt er wie im Versteck. In einer 28-Quadratmeter-Wohnung, wo er sich mit dem Schreiben von Musicals und Unterhaltungsstücken über Wasser hält. Gleichzeitig arbeitete er als Übersetzer, etwa der Texte Sigmund Freuds oder Friedrich Nietzsches. Vor allem aber suchte er in einem langen Prozess nach einer Form für seine Erfahrungen vor und in Auschwitz.
Nach 13 Jahren Suchen dann das Resultat. Sein bedeutendstes Werk «Roman eines Schicksallosen» erscheint 1975 auf Ungarisch. Ein provokatives Buch, geschrieben aus der Sicht eines Jugendlichen, der Auschwitz mehr oder weniger normal findet, dem Grauen arglos und neugierig begegnet. Eine Sichtweise auf den Holocaust ohne Ideologie und Didaktik.
Späte Berühmtheit
Das Buch wird in Ungarn totgeschwiegen. Das Blatt wendet sich erst 1996 mit einer zweiten deutschen Übersetzung. Jetzt wird Imre Kertész ausserhalb Ungarns entdeckt, berühmt und gefeiert. Und das geht bis hin zu der sogenannten «Glückskatastrophe», wie Imre Kertész den Nobelpreis nennt, den er 2002 bekommt.
Im Zentrum Imre Kertész' Schaffens, seiner Romane und Journale steht offen oder versteckt immer der Holocaust. Die Erfahrung, als Jude eine Unperson und ein Aussenseiter während des sozialistischen Regimes zu sein, die Erfahrung, verdächtig zu sein wegen seiner blossen Existenz, schärften Imre Kertész' Schreiben.
Zeitlebens betont er, dass für ihn die Vergangenheit nicht vergangen sei. Sie beschreibt er. Nicht als Rufer in der Wüste, aber als einer, dessen Leben und Schaffen eins ist. Nun ist Imre Kertész mit 86 Jahren in Budapest gestorben.