Ich hatte mehrmals Glück: Das Glück, mit Peter von Matt zu tun zu haben. Zum ersten Mal in einer lange zurückliegenden Zeit, an der Uni Zürich. Mit «Büchners Lenz» war das Proseminar betitelt. Und der folgende, legendäre Satz des jungen Genies liess uns während jener Monate an der Uni nicht mehr los: «…nur war es ihm manchmal unangenehm, dass er nicht auf dem Kopf gehen konnte». Weshalb? Weil von Matt der Satz nicht losliess: Dran bleiben, sich immer wieder von einer neuen Seite herantasten – das war die erste Lektion.
Emotional und direkt
Jahre später reiste ich für SF DRS nach Klagenfurt, zum Ingeborg Bachmann-Wettbewerb. Es sollten unvergessliche Literaturtage werden. Peter von Matt sass in der Jury. Ein Schweizer Autor hatte gerade hoffnungsvoll aus seinem Manuskript gelesen. Die Feuilleton-Fürsten auf der Jurybank ergingen sich wohlig in einem Schweizer «Bashing». Sie warfen dem Autor und den Schweizern generell vor, sie wollten Bedeutung mimen, wo gar keine sei, indem sie ihre Texte besonders langsam läsen.
Das brachte von Matt auf die Palme: Die Schweizer hätten eine Zunge wie eine Waldschnecke und hockten hinter dem weltgeschichtlichen Ofen an der Wärme, jeder sei steinreich und fett, resümierte von Matt die Voten der Jury. Und: «Ich möchte einmal die Kollegen aus der Bundesrepublik bitten, ihre Bäuche zu zeigen.» Die Stimmung im Saal drehte sofort. Endlich einer, der emotional wurde und die Verkrampftheit im Saal auf einen Schlag löste.
Bei sich bleiben
Von Matt fuhr fort: «Es ist mir eben ernst. Denn dahinter kommt: Da passiert nichts in dem Land. Die haben nicht so eine schöne Geschichte wie wir sie gehabt haben. Diese Niedertracht, diese tollen Schändlichkeiten. Haben die alles nicht. Die haben immer nur so eine halbbatzige Demokratie gehabt und sich die Füsse gewärmt. Aber was wir gehabt haben: einen Russlandfeldzug, das war was.» Das Publikum tobte und quittierte von Matts Befreiungsschlag mit nicht enden wollendem Applaus. Für mich war es die zweite Lektion: Bei sich bleiben. Nur so lässt sich gültig reden.
Noch einmal Jahre später schlug ich der Sendung «Sternstunde» vor, Peter von Matt ein Filmporträt zu widmen. Als ich mir überlegte, wie ich einen Film über ihn machen könnte, schien es mir, dass seine Qualitäten am besten spürbar würden, wenn ich ihn über Literatur reden liesse. Ich suchte wochenlang in den Archiven nach filmischem Material, das Literatur repräsentierte. Ich fand ein filmisch dokumentiertes Gedichte-Rezital Ingeborg Bachmanns, Aufnahmen von Brecht-Liedern, gesungen von Therese Giehse oder Theaterausschnitte aus Dürrenmatts «Besuch der alten Dame». Ich setzte mich mit Peter von Matt in die «Coal Mine Bar» in Winterthur, und vor der grossen Bücherwand redete der «unprofessorale» Professor frisch von der Leber weg über einige Werke von wegweisenden Autoren des 20. Jahrhunderts.
Sendungen zum Thema
Spezifisch, genau, persönlich
Und er machte auch ein paar wunderbare Feststellungen darüber hinaus. Zum Beispiel: Man soll nicht so tun, als ob man zwei Drittel seiner Person abgeben würde, wenn man als Wissenschaftler arbeitet. Man muss mit allem arbeiten, was man selber hat, und ein zentrales Element der Arbeit an Literatur ist die Begeisterung dafür und die Liebe.
Und jetzt haben wir wieder mal die Gelegenheit, Peter von Matt zu geniessen – in der «Sternstunde Philosophie». Und wieder weiss ich, warum ich Peter von Matt so gern zuhöre. Weil er die Worte, die er braucht, aus sich heraus schöpft, statt wohlfeile Floskeln zu verwenden. Er spricht vom Gotthard als einer «Art Sinai der Eidgenossen». Und wenn er davon redet, wie die Beziehung zwischen Deutschen und Deutschschweizern funktioniert, redet er von «Stoffwechsel».
Peter von Matt bringt uns nicht nur bei, genau zu lesen. Er macht uns auch vor, spezifisch, genau und persönlich vermittelt zu reden und zu schreiben. Dafür bin ich ihm jetzt und für alle Zukunft dankbar.