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Aussicht auf ein Tal mit einem See, über dem Dunst aufsteigt.
Legende: Die Schicksale der Einheimischen formuliert Müller-Drossaart in knappen Worten, wie sie die Bergler sprechen. Flickr/Falk Lademann

Literatur Dialekt-Gedichte: Knapp, wie der wortkarge Bergler spricht

Über Unfälle, «Chrieg im Grind» und Endlichkeit dichtet der Schauspieler Hanspeter Müller-Drossaart in seinem Obwaldner Dialekt. Die Gedichte in seinem Buch «zittrigi fäkke» spiegeln das Ringen eines Menschenschlags, der auch seine sperrigen Seiten hat.

Heimat ist die eigene Verortung, das Anbinden an eine Gegend, an ihre Menschen und an ihre Sprache. Heimat spürt man an dem Faden, den man von irgendwo auf der Welt zu diesem ureigenen Ort spannen kann.

Mit solchen Bildern fängt Hanspeter Müller-Drossaart seine dichterische Suche in der Landschaft seiner frühesten Kindheit ein. Dabei ist für ihn diese Heimat – das Sarner Tal, der Kanton Obwalden – ein zwar geliebter, aus der Distanz auch ersehnter – aber alles andere als ein romantischer Ort.

Niemand kann sich hier verstellen

Die 90 kurzen Gedichte «zittrigi fäkke» spiegeln das Ringen mit einem Menschenschlag, dem sich der Autor zugehörig fühlt, der aber mehr ist als nur liebenswert, nämlich auch sperrig und spröd – und immer wieder bedauernswert. Da lästern die Mäuler über den Nachbarn. Da explodiert einer vor Freude über die Schönheit um ihn herum – dank der Antidepressiva.

Hanspeter Müller-Drossaart liest aus «zittrigi fäkke»

Da gibt es Unfälle und «Chrieg im Grind». Und gleichzeitig kennt man sich in- und auswendig, ist man aufeinander angewiesen. Niemand kann sich hier verstellen. Und alle kämpfen hinter der rauhen Schale mit der eigenen Endlichkeit, mit der Leere in sich drin, mit den ganz existentiellen Fragen.

Umfassende Schicksale in knappen Worten:

«vorane scho / me dä zwee zäntner / nach em tood vu dr frai / nume nu triäd / i giid ine gfrässe / d aorta bbuzd / ez sind s / wider binänand»

Diese schmerzhaft direkte Innenansicht des Menschen als Dorfbewohner kennt man in der Mundartliteratur sonst nur von den monologischen Kurzgeschichten Ernst Burrens.

Buchhinweis

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Hanspeter Müller-Drossaart: «zittrigi fäkke». Gedichte in Obwaldner Mundart. Verlag bildfluss, 2015.

Ein Augenzwinkern im «träfen» Wort

Ohne ironische Distanz wäre das alles nicht auszuhalten, sagt Hanspeter Müller-Drossaart. Und das Augenzwinkern steckt ganz oft im «träfen» Wort, in der verknappten Sprache dieser wortkargen Bergler.

Die Zumutungen des Lebens sind mit zielgenauen Wörtern auf den Kern reduziert:

«dr chamme z heech träid / und de am tirgricht / dr grind agschlage /aber schnaagge gid gschwullni chnäiw»

Stolz und Erniedrigung liegen nahe beieinander.

Die Träume sind nicht zerbrochen

Es ist auch ein schmaler Grat zwischen Schweigen und «Gschnorr»: «nid äister / alls z bode rede / ai im schwiige / drhäime sii». Diese Gedichte werden nicht von Schwärmern bevölkert, das sind keine «shiny happy people». Sie sind eher etwas hinterwäldlerisch, etwas altmodisch – bescheiden halt.

«The dreams ain't broken down here, they're just walking with a limp», so singt der amerikanische Barde Tom Waits über die Bewohner einer randständigen Gegend. Die Träume sind hier nicht zerbrochen, sie hinken bloss – das passt auch auf die Menschen in Hanspeter Müller-Drossaarts Gedichten.

Zum Schreiben kam er durch Zufall

Hanspeter Müller-Drossaart wuchs im obwaldnerischen Sarnen und im urnerischen Erstfeld auf. In Zürich liess er sich zum Schauspieler ausbilden und spielte seither in vielen deutschsprachigen Theatern. Inzwischen kennt man ihn als einen der renommierten Schweizer Filmschauspieler.

Seine vielgestaltige Sprachbiografie fliesst ebenfalls in wunderbare Gedichte ein – über die grossen dialektalen und mentalen Unterschiede in der kleinen Welt der Innerschweiz beispielsweise. Zum Schreiben kam er per Zufall: Ein Freund lud ihn ein, in Giswil eigene Mundarttexte vorzutragen. Die reduzierte Form des Gedichts lag ihm am nächsten und legte eine ungeahnte Produktivität frei. 90 dieser Gedichte enthält das lesenswerte Buch «zittrigi fäkke».

«fäkke» sind Flügel

Der Titel «zittrigi fäkke» enthält den Gegensatz von hart und zart: Das Wort «fäkke», mit scharfem «f», wegwerfendem «ä» und doppeltem «k», klingt wie ein Prügel – bedeutet aber «Flügel». Der Inbegriff des Leichten und Zerbrechlichen. «zittrigi fäkke» ist ein Bild für die Flüchtigkeit der Gedanken. Welch sanfte Botschaft in harter Wortschale!

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