Über Täter wie Opfer des Holocaust gibt es eine ganze Menge Literatur. Diese Apokalypse ist jedoch nie zu Ende erzählt, weil jedes Opferschicksal einzigartig ist. Und jetzt stirbt die Generation der Holocaust-Überlebenden weg. Nun erheben sich die Stimmen der Nachkommen der Opfer.
Eine besonders ausdruckstarke ist diejenige von Göran Rosenberg. Er war Journalist, Korrespondent und Dokumentarfilmer. 1990 gründete er die Zeitschrift «Moderna Tider», dessen Chefredakteur er bis 1999 blieb, gleichzeitig war er Kolumnist bei der Tageszeitung «Dagens Nyheter». Seit 1999 ist Göran Rosenberg freier Journalist und Schriftsteller und bearbeitet mit Vorliebe historische Stoffe, wie zum Beispiel ein noch nicht ins Deutsche übersetztes Buch über Israel.
Die rettende Insel blieb aus
Göran Rosenbergs Vater David war im Sommer 1944 aus dem Ghetto der polnischen Stadt Lodz nach Auschwitz deportiert worden. Er hat die Hölle des millionenfachen Mordens überlebt und ist bei Kriegsende mit einem Rotkreuz-Transport in der schwedischen Kleinstadt Södertälje gelandet. Dort arbeitete er zunächst als Rohrschlosser bei der Lastwagenfirma Scania.
Södertälje war ihm keine rettende Insel: Nachdem sein Arbeitgeber ein Weiterbildungsgesuch ablehnte und es zu einem antisemitischen Übergriff durch einen Arbeitskollegen kam, versuchte David Rosenberg sein Glück als Handelsreisender.
Von der Vergangenheit eingeholt
Zu dem, was dann geschah, muss sich Sohn Göran mit vielerlei Mutmassungen begnügen. David Rosenberg hat sich 1960 das Leben genommen. Eine endgültige Antwort darauf, weshalb er seinem Leben ein Ende gesetzt hat, wird es nie geben. Fest steht, dass er in der Fremde psychisch erkrankt war, das hält der Unglückselige in einem Brief fest: «Ich leide Höllenqualen. Ich kann nicht unter normalen Menschen leben.»
Göran Rosenberg legt Zeugnis davon ab, wie die unmenschliche Last des Erlebten seinen Vater doch endgültig niedergedrückt hat. Eine ultimative Demütigung dürfte das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Göran Rosenberg bewarb sich beim deutschen Staat um finanzielle Wiedergutmachung. Das Gesuch wurde trotz günstiger psychiatrischer Befunde mit dem Verweis auf die körperliche Gesundheit Rosenbergs abgelehnt.
Ein Umkreisen der Familiengeschichte
Die Fäden in diesem Erinnerungsbuch laufen in der fragilen Idylle Södertäljes zusammen, dem nicht aus freien Stücken gewählten schwedischen Hort für das Weiterleben nach dem Krieg. David Rosenberg hat erwogen, nach Israel auszuwandern. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage dieses Landes in den fünfziger Jahren wurde aus diesem Plan aber nichts.
Göran Rosenberg rekonstruiert, was sich von der Ghetto- und Lagerbiografie seines Vaters noch wiederherstellen lässt. Er umkreist die polnische Familiengeschichte, soweit dies überhaupt noch möglich ist. Neben der Mutter hat nur noch ein Onkel das Grauen überlebt.
Zwiegespräch mit dem toten Vater
Göran Rosenberg, sein Neffe, reist um die Jahrtausendwende zu den Stationen des Leidenswegs seines Vaters in Polen und in Deutschland. Wobei die Zeit die damaligen Schauplätze der Todesmärsche grösstenteils wieder unkenntlich gemacht hat. Dem Autor bleiben oft nur Mutmassungen darüber, wie Hitlers Schergen gewütet haben. Die entscheidende Leerstelle ist die fehlende Stimme David Rosenbergs.
Es ist darum nur konsequent, dass der Sohn den toten Vater über weite Strecken seines Berichts direkt anspricht. Der Schmerz, die Hartnäckigkeit, sich immer wieder neu zu fragen, wie es gewesen sein könnte, durchzieht dieses eindringliche Vaterbuch.
Eine Sprache, so klar wie nordisches Design
Prägendstes Merkmal ist die Dringlichkeit dieses Stoffes gepaart mit der Hartnäckigkeit Göran Rosenbergs, dem Möglichen viel Platz einzuräumen. Er ist ein vortrefflicher Schriftsteller, weil er den Leidensweg des Vaters in eine berührende Geschichte kleidet, die man nicht vergisst. Das Buch ist nicht blosser Biographismus, wie er gerade in Mode ist.
Die Recherche ist deshalb hochgradig glaubwürdig, weil sie, wo immer möglich, mit noch zugänglichen Fakten historisch belegt ist. Göran Rosenberg schreibt in einer Sprache, die so klar ist wie nordisches Design. Es ist eine vielstimmige Elegie. Ja, ein «Denk-mal!» – im eigentlichen Sinn.