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Literatur Donna Leon über schaukelnde Gondeln und Höllenschiffe in Venedig

«Gondola» heisst das neueste Buch von Donna Leon. Kein Commissario Brunetti ermittelt diesmal. Stattdessen beschäftigt sich die Krimiautorin mit der Schifffahrt: Sie lässt die grosse Zeit der Gondeln wieder aufleben. Doch neuerdings stehlen ihnen andere Schiffe die Schau.

Donna Leon steht an der Riva, gleich beim Dogenpalast. Ein riesiges Kreuzfahrtschiff, ellenlang und mindestens 15 Stockwerke hoch, zieht an San Marco vorbei zum Anlegeplatz. Es ist nicht das erste an diesem Tag. Fünf bis sechs oder sogar mehr sind es während der Saison.

«Das Problem ist, dass Kreuzfahrtschiffe überhaupt hierher kommen. Sie sind höher als jedes Gebäude in Venedig. Sie verdrängen viel Wasser und es heisst, jedes von ihnen produziert täglich so viele Abgase wie 14‘000 Autos.» Donna Leon beobachtet die Entwicklung mit Sorge.

«Und was passiert mit Venedig, wenn eines der Schiffe die Quaimauer rammt?» Der Gedanke an die Costa Concordia quält Donna Leon bei jedem dieser Kreuzfahrt-Riesen. Es versteht sich fast von selbst, dass sie den «Höllenschiffen», wie sie sie nennt, auch ein Kapitel ihres Gondel-Buches widmet.

Was soll’s, den Fremden gefällt’s

Fasziniert von den Gondeln: Donna Leon.
Legende: Fasziniert von den Gondeln und ihrer Musik: Donna Leon. Keystone

Als gäbe es diese Gefahr nicht, schaukeln Gondeln vor der Kulisse der durchfahrenden Monsterschiffe im glitzernden Wasser. Gondoliere im gestreiften Hemd, den Sonnenhut auf dem Kopf, warten auf Kundschaft. «Gondola, Gondola!», rufen sie den Touristen zu, Venezianer steigen ohnehin nicht in die Gondel.

Der Lockruf ertönt von allen Seiten. Im Gondel-Konvoi, der unterdessen mit chinesischen und amerikanischen Touristen fast lautlos vorbeigleitet, erklingt «O sole mio». Das Lied gehört zwar eher nach Neapel als nach Venedig, aber was soll’s, den Fremden gefällt’s.

Venedig, findet Donna Leon, verkaufe seine Seele. Kommerzdenken mache alles kaputt. Und um wenigstens ein bisschen echt Venezianisches zu pflegen, hat sie sich der Geschichte, der Kultur und Tradition der Gondel angenommen.

«Ich mag Unordnung, Unregelmässigkeiten. Und die Gondel ist gebogen, ein gekrümmtes Boot. Sie wurde so entworfen, damit der Mann hinten am Ruder sie allein führen kann. Über die Jahre hinweg hat man an der perfekten Proportion gearbeitet, und der Mann hinten auf dem Boot kann allein durch sein Gegengewicht das eigentlich schiefe Boot mit einem einzigen Ruder geradeaus fahren.»

Genauso faszinierend wie die Form des Bootes ist für Donna Leon allerdings auch die Musik, die in früheren Jahrhunderten auf den Gondeln gesungen und gespielt wurde. Zusammen mit «Pomo d’oro», einem jungen Musikensemble, hat sie die alten Klänge wiederbelebt. In einer prächtigen Villa wurde die Musik aufgenommen, die dem Buch als CD beliegt.

Gerüchte über Gondeln

Bei den Recherchen ist Donna Leon tief eingetaucht in Geschichte und Geschichten rings um die Gondel. «Ich bin fasziniert von diesem Kult um den Gondoliere. Er hatte den Ruf, der ‹accompagnatore›, also Begleiter gewisser Damen zu sein, und es gab viele Gerüchte, was da in den Gondeln so passierte… Deshalb hatten sie früher auch ein Dach und Vorhänge, damit man eben gewisse Dinge tun konnte, von denen wir hoffen, dass sie heute nicht mehr passieren – zumindest nicht in der Gondel.»

Begleitet wurde solches Tun damals von den Gesängen eines «Tenorinos», heute würde man ihn Counter-Tenor nennen. Bei den Aufnahmen zu Donna Leons Buch ist es Vincenzo Capezzuto, der sich auf die Tonart der damaligen Melodien und den Klang des authentischen Veneziano, des Dialekts der damaligen Zeit, einlässt.

Hoffnung, dass die alten Lieder auch in den heutigen Gondeln wieder gesungen werden, hat Donna Leon nicht. «Ich glaube, in Venedig wird es nie wieder so, wie es einmal war. Venedig hat sich der Zukunft verschrieben. Venezianer, die diese alten Gondellieder zum Teil noch kennen, fahren nicht in der Gondel. Und Touristen, die durch Venedig gondeln, verbinden ‹O sole mio› mit der Gondel. Also wäre es vergebliche Mühe, würden die Gondoliere die alten Lieder ausgraben.»

Man hört sie nicht kommen

Buchhinweis

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Donna Leon: «Gondola», Diogenes 2013

Mit ein bisschen Wehmut und Melancholie denkt Donna Leon zurück an die grosse Zeit der Gondeln, die so majestätisch durch die Kanäle gleiten. «Sie sind und bleiben ein Teil von Venedig. Sie fahren so ruhig. Auch Venedig ist eine stille Stadt und man hört die Gondeln nie kommen.» Dann wird Donna Leon wieder zur Krimiautorin und meint: «Ich stelle mir gern vor, wie das wäre: ein Mord in der Gondel…!» Vielleicht ein Fall für Brunetti?

Seit rund 1000 Jahren gibt es Gondeln, bis heute werden sie in Handarbeit hergestellt. Das dauert mindestens ein Jahr und braucht jahrelange Erfahrung. In Venedig gibt es noch eine Werft, die Gondeln herstellt. Dort hat sich Donna Leon ihr Wissen geholt, das sie nun in das Buch hat einfliessen lassen.

Inzwischen ist das nächste Kreuzfahrtschiff vor San Marco aufgetaucht. Die Gondeln daneben wirken wie Spielzeugboote. Und eben hat wieder eine grosse Protestdemonstration der Venezianer gegen die grossen Schiffe stattgefunden. Auch Donna Leon wettert gegen die Grossen. Unter anderem mit einer Liebeserklärung an die Kleinen.

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