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Literatur Drei Männer und die bösen Musen

Drei Männer ganz unterschiedlichen Alters sitzen da und machen – nichts. Sie haben ein hohes Ziel und eine tiefe Krise. Und dieser sind sie völlig ausgeliefert. Randständig, im Off stecken geblieben, träumen sie im Hörspiel «Mit den Waffen einer Maus» vom ganz grossen Erfolg.

Bei den Figuren in Jens Nielsens neuem Hörspiel handelt es sich um eine kuriose Filmcrew, die auf den genialen Einfall zu einem Roadmovie wartet - vergebens. Keine Muse kommt und küsst.

Nielsen hat aus seinem 2011 im Zürcher «Theater Winkelwiese» uraufgeführten Stück  «Keine Aussicht auf ein gutes Ende» eine Hörspielvorlage generiert für ein mediales Crossover in gesteigerter Form: Aus einem Theaterstück über das Filmschaffen wurde ein Hörspiel über das Filmschaffen.

Da lag der Gedanke nahe, die Hörspielaufnahmen integral auch in einer Videofassung zu zeigen und damit – nicht zuletzt im wörtlichen Sinn - einen Einblick zu geben in die Kunst, vor dem Mikrofon Figuren darzustellen.

Nichts geht mehr

Der Text ist Nielsens heiter ironische Beschäftigung mit der schöpferischen Krise, vor denen wohl alle Kreativen Angst haben. Der italienische Filmmacher Federico Fellini hat dieser Angst seinen Film «Otto e mezzo» (1963) gewidmet und darin von einem Regisseur erzählt, der mitten aus seiner Produktion flieht, weil ihm nichts mehr einfällt.

Und der Schweizer Schriftsteller und Philosoph Peter Bieri alias Pascal Mercier hat in seinem Roman «Perlmanns Schweigen» (1995) die Notlage eines renommierten Sprachwissenschaftlers beschrieben, der einen internationalen Kongress leiten muss und durch den Konkurrenzdruck zwischen den Koryphäen blockiert wird. Sein Vortrag kommt nicht zustande. Der Zeitpunkt des Auftritts naht erbarmungslos. Da quält sich ein Begabter 600 Seiten lang durch sein Drama der Einfallslosigkeit.

Zeichen gegen die Zeit

Dieses Drama verletzt nicht nur den Narzissmus von Künstlerinnen und Gelehrten. Es bedroht die existenzielle Hoffnung, die hinter allem schöpferischen Willen steht: die Hoffnung nämlich, etwas hervorzubringen, das bleibt. Es ist der Wunsch, die Sterblichkeit zu überwinden, indem man sich ins kollektive Gedächtnis einschreibt – der Tod als Triebfeder für Kultur.

Nielsens überaus humorvolle Stücke beziehen das Thema Tod immer mit ein, ob es nun um Kunstproduktion geht, um Familienleben oder um Erotik: In «Endidyll» (2007) wird einem Vater per Handy von Gott sein baldiges Sterbedatum mitgeteilt. Aber er wird nach Eintreffen der Vorhersage von seinen Lieben zurückgeholt. In «Immer stimmt das dann plötzlich» (2008) überdauert die Hörspielhandlung den Tod zweier Liebender und endet im Himmel bei dem lachenden, scherzenden Paar.

Randale bei den Aufnahmen

Vor diesem ernsthaften Hintergrund wundert es also nicht, dass der Filmmacher in Nielsens neuestem Hörspiel am kreativen Stillstand und an seiner Ohnmacht in dieser Lage verzweifelt und derart in Rage gerät, dass er Mobiliar in Stücke schlägt: Es wird wohl nichts mit dem grossen Werk für die Ewigkeit.

Der einzige Darsteller der schäbigen, kleinen Gruppe bringt es auf den Nielsen’schen Nenner, wenn er sich selber einen Edelstatisten bezeichnet und erklärt: «Ich bin weltweit bekannt als Unbekannter!» Dabei sitzt ihm der Schalk des Autors im Nacken. Nielsen hat ihm nämlich eine der schönsten Passagen über die Endlichkeit ins Rollenbuch geschrieben.

Er lässt ihn die Geschichte der alten Dame erzählen, die sich zur Gesundheitsprävention ein Hündchen zutut und täglich stur mit ihm spazieren geht, auch nachdem es verendet ist und an der Leine über den Asphalt geschleift werden muss. Denn die Halterin ignoriert ganz einfach den Tod. – Auch ein Versuch, ihn zu überwinden.

Protest der Ohnmacht

Vieles passiert in der Passivität der drei seltsamen Figuren, die sich darüber beklagen, dass niemand kommt und niemand sie beachtet. Zum Beispiel stürmt plötzlich ein Mann das Studio, unterbricht die Aufnahmen und verkündet: «Wer nicht besetzt wird, besetzt sich selber.» Er produziert sich in einer längeren Rede. Noch ein Geltungsbedürftiger, der nach Ruhm rangelt!

Das Ensemble wirft ihn raus, und er kann, bevor er verschwindet, nur noch «mit den Waffen einer Maus» drohen. Dieser Protest der Ohnmacht gab dem Hörspiel schliesslich den Titel.

Facts, Fakes, Fiction

Geprobt wurde das Stück mit dem Ensemble am Vortag der Aufnahmen. Daneben erhielt jeder Schauspieler – ohne wissen seiner Ensemblekollegen – den diskreten Auftrag zu einer improvisierten Aktion während der Aufnahmen, die nicht im Manuskript stand.

Das Zerdeppern von Möbeln und etliche andere Vorkommnisse waren Überraschungen, welche unter den Beteiligten nicht inszenierte und nicht gespielte Reaktionen auslösen und ihre darstellerische Leistung durch ganz persönliche Momente bereichern sollten. Denn zum Umsetzungskonzept der Produktion gehörte es, die Regie einzuschränken und den Zufall spielen zu lassen.

Übrigens: Der Sturm aufs Studio stand ebenfalls in keinem Manuskript. Und der Störenfried war niemand anderes als der Autor Jens Nielsen.

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