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Literatur Ein Buch bricht das Schweigen, das ein anderes hinterlässt

In seinem Roman «Die Glut» lässt der Ungar Sándor Márai viele Fragen offen. Diese haben die Schweizer Autorin Ursula Pecinska so beschäftigt, dass sie eine eigene Version der Geschichte aufschreiben musste. Ihr Buch heisst «Hallgatás» – Ungarisch für das Schweigen, das sie mit diesem Roman bricht.

Sándor Márai

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1900 in Kaschau geboren, verliess Márai 1948 Ungarn aus politischen Gründen und emigrierte in die USA, wo er bis zu seinem Suizid 1989 lebte. Mit der Neuübersetzung von seinem Roman «Die Glut» 1999 wurde er als einer der grossen ungarischen Autoren im deutschsprachigen Raum wiederentdeckt.

Mehr als 70 Jahre nach seinem Erscheinen fasziniert der Roman «Die Glut» von Sándor Márai immer noch. Warum? Ist dafür der tragische Ausgang der Geschichte verantwortlich, in dem auf Liebe und Leidenschaft Hass und Verrat folgen? Oder das Geheimnis, warum die Freundschaft zwischen dem Ehepaar Henrik und Krisztina und ihrem gemeinsamen Freund Konrad tragisch auseinanderbricht?

Vermutlich sind alle diese Gründe für den durchschlagenden Erfolg von Sándor Márais Roman «Die Glut» verantwortlich. Aber das Geheimnis, das wiegt wohl am schwersten. Ein Tagebuch könnte es lüften. Doch dieses wird am Ende des Romans ungelesen in einem Cheminéefeuer verbrannt.

Ursula Pecinska hat graues Haar. Sie trägt ein Medaillon.
Legende: Was stand im Tagebuch? Diese Frage führte Ursula Pecinska zu ihrem eigenen Werk. Ayse Yavas

Aus dem Feuer gerettet

Dieser Schluss hat der Schweizer Autorin Ursula Pecinska keine Ruhe mehr gelassen. So sehr, dass sie ihre eigene Version der Geschichte aufschreiben musste. «Hallgatás» heisst ihr Buch. Darin erfindet sie das Tagebuch der Krisztina neu. Das Tagebuch jener jungen Frau, die in «Die Glut» nach einem Vorfall im Wald auf der Jagd von ihrem Mann des Ehebruchs bezichtigt und mit jahrelangem Schweigen bestraft wird – bis zu ihrem Tod.

Was sie in dieser Zeit erlebt, was die junge Frau denkt und fühlt, zeichnet Ursula Pecinska in ihrem Tagebuch nach und findet Erklärungsansätze, warum Henrik Krisztina verlässt, warum er sie mit Schweigen bestraft und warum auch Krisztina dieses Schweigen nicht brechen kann.

Der Roman «Die Glut»

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«Die Glut» von Sándor Márai ist 1942 auf Ungarisch erschienen. Dann auf Deutsch 1950 unter dem Titel «Die Kerzen brennen ab». 1999 wurde das Buch in einer Neuübersetzung von Christina Viragh wieder aufgelegt und als literarische Wiederentdeckung gefeiert. Es zeigt in grandioser Weise, was passiert, wenn man Wahrheiten unausgesprochen lässt.

Gebrochenes Schweigen

Das ist auch der Grund, warum Ursula Pecinska ihr Buch «Hallgatás» nennt. Das ist ungarisch und bedeutet übersetzt «Schweigen». Doch Krisztina schweigt nicht ganz. Ursula Pecinska lässt sie schreiben: Über den Vorfall damals im Wald, über die Hintergründe, die dazu geführt haben, und über ihr Leben ein halbes Jahr danach bis zu ihrem Tod acht Jahre später.

Anders als Sándor Márai fokussiert die Autorin nicht auf den Konflikt zwischen den beiden Männern, zwischen Henrik und Konrad. Vielmehr konzentriert sie sich auf die Perspektive der Frau, auf Krisztina, die bei Sándor Márai nur ganz wenig Raum erhält und deren Lebenskrisen sich einzig erahnen lassen.

Berührend , eigenständig, lehrreich

Eindrücklich zeichnet Ursula Pecinska Krisztinas Leben nach. Wie auf Wut und Schmerz Einsamkeit und Trauer folgt. Und dann, nach etlichen Jahren der Trennung, auch wieder etwas Lebensfreude. Doch Krisztina gelingt kein Neuanfang. Sie vermisst Henrik und gibt die Hoffnung bis zu ihrem Tod nicht auf, dass er ihr Tagebuch liest, die Wahrheit erkennt und zurückkommt. Denn seit ihrer Hochzeit haben sie einen Brauch: Krisztina schreibt ihre Gedanken in ihr Tagebuch, Henrik liest sie und antwortet ihr darauf. Doch auf eine Antwort wartet Krisztina nun vergeblich. Nach acht Jahren stirbt sie an Blutarmut.

Buchhinweis

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Ursula Pecinska: «Hallgatás. Das Tagebuch der Krisztina». Bilger Verlag, 2015.

«Hallgatás» ist ein eindrückliches Buch, das berührt. Es lebt nicht nur von Sándor Márais genialer Geschichte. Ursula Pecinska entwickelt darin auf eigenständige Weise die Lebenswelt der Krisztina um 1900 weiter. So gesehen ist «Hallgatás» auch eine kleine Kulturgeschichte, die viele Details über Kunst, Musik und Literatur zur Zeit der Donaumonarchie enthält.

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