Sie war der ruhende Pol der Familie: Sie kaufte ein, sie kochte und putzte, und sie umsorgte den kleinen Sohn. Mehr noch: Die Haushälterin, Signora A., war die heimliche Chefin. Das zeigte sich etwa daran, dass sie es war, die den Buben am ersten Schultag zusammen mit der Mutter begleitete. Der Vater blieb zu Hause, denn pro Kind waren nur zwei Erwachsene zugelassen. Signora A. hatte ihre Prinzipien, und gelegentlich war ihr Starrsinn befremdlich. Gleichwohl war sie Teil der Familie. Man nannte sie liebevoll Babette nach dem Hausmädchen in Tania Blixens berühmter Novelle «Babettes Fest».
Doch plötzlich kommt alles anders: Nach acht Jahren quittiert sie überraschend ihren Dienst. Sie sei müde und erschöpft, mehr verrät sie ihren Arbeitgebern nicht. Nora und ihr Mann sind vor den Kopf gestossen und suchen nach Erklärungen und Versäumnissen. Ohne Erfolg. Schliesslich nennt Signora A. ihr Schicksal beim Namen: Sie leidet an Lungenkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Acht Monate später ist sie tot.
Mit präzisem BIick
Mit dem Tod der Haushälterin setzt der Roman «Schwarz und Silber» ein. Und Paolo Giordano beschreibt mit einem ebenso präzisen wie behutsamen Blick, wie dieser Verlust die Kleinfamilie verstört und verändert. Aus der Perspektive des jungen Familienvaters erzählt Giordano, wie monströs sich der blosse Alltag plötzlich gebärdet und wie hilflos die Zurückgebliebenen sind.
Bereits nach kurzer Zeit ist die Überforderung komplett: Nora, von Beruf Innenarchitektin, reagiert zunehmend gereizt, und der Ich-Erzähler, Physiker in prekärer Anstellung, leidet unter Schlaflosigkeit. Die beiden werden einander fremd. «Ich war mir sicher, dass Noras Silber und mein Schwarz sich langsam vermischten», notiert der Ich-Erzähler und spielt an auf die Farben der Temperamente nach der antiken Säftelehre. Doch «wir waren, unseren Hoffnungen zum Trotz, nicht einer im anderen löslich».
Die Haushälterin als Puffer
Risse bekommt auch die Sicht des Vaters auf seinen kleinen Sohn. Der Vater schreibt: «Vielleicht wirkte Babettes Anwesenheit als Puffer, was mich daran hinderte, Emanuele als das zu sehen, was er wirklich war: (. . .) ein durchschnittliches Kind, wenn nicht sogar etwas unterhalb der Norm.» Für ihn grenzt es an Sadismus, dass er als promovierter Physiker offenbar nicht imstande ist, seinem Sohn beizubringen, dass sieben mal null null ergibt. Solche Szenen machen aus dem leisen Roman manchmal auch einen hintersinnig-komischen.
Beitrag zum Thema
Berühmt geworden ist Paolo Giordano, auch er Physiker, 2008: Damals war er 26 Jahre alt und veröffentlichte seinen Debütroman «Die Einsamkeit der Primzahlen». Das Buch erzählt die Geschichte zweier versehrter Jugendlichen aus der Turiner Oberschicht und wurde zum Weltbestseller. Danach schrieb er in «Der menschliche Körper» über den Krieg in Afghanistan. Und nun bringt er mit seinem literarischen Kleinod über das Leben einer modernen Kleinfamilie nichts weniger als das fragile menschliche Dasein zum Leuchten. In einer schönen und schlichten Sprache, in der kein Wort zuviel ist.