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Legende: Durch ein subtiles Verweben der Zeitachsen transportiert Friedrich Dönhoff das Vergangene in die Gegenwart. Pixabay

Literatur Ein gutes Leben trotz Auschwitz

Friedrich Dönhoff erzählt in seinem neuen Buch die Geschichte des Holocaust-Überlebenden Jerry Rosenstein. Er habe nach der Befreiung ein gutes Leben geführt, sagt der heute 87-Jährige. Dies sei die beste Rache für das Unrecht.

Seit 1949 lebt Jerry Rosenstein in San Francisco. Und er hat seither nur wenig über das Grauen erzählt, das er als Jugendlicher erlebt hat: Die Nazis deportierten ihn nach Auschwitz, wo er unsägliches Leid erdulden musste. Vor siebzig Jahren, Ende Januar 1945, befreite ihn die sowjetische Armee.

Das Schweigen gebrochen

Jerry Rosensteins Jahrzehnte langes Schweigen dauerte bis 2012. Damals lernte er in einem Hamburger Hotel den deutschen Krimi- und Sachbuchautor Friedrich Dönhoff kennen. Er ist der Grossneffe von Marion Dönhoff, der bekannten Mitherausgeberin der deutschen Wochenzeitung «Die Zeit».

Die Begegnung im Hotel sei der Beginn einer tiefen Freundschaft zu Jerry Rosenstein gewesen, sagt Friedrich Dönhoff im Interview mit SRF. Der heute 87-Jährige habe ihm, dem 40 Jahre Jüngeren, gegenüber grosses Vertrauen gehabt und sich ihm geöffnet. Und Dönhoff erfuhr eine Lebensgeschichte, die ihn beeindruckte. So sehr, dass er beschloss, seine aktuelle Arbeit an einem Kriminalroman zu unterbrechen und zunächst ein Buch über Jerry Rosensteins Leben zu schreiben.

Reise in die Vergangenheit

Das Buch spielt auf zwei Zeitebenen. Zunächst einmal ist es in der Gegenwart angesiedelt und schildert, wie Dönhoff und Rosenstein per Auto durch Deutschland reisen. Die Fahrt führt dem Rhein entlang ins hessische Bensheim, wo Rosenheim geboren wurde. Von dort musste 1936 die jüdische Familie vor den Nazis nach Amsterdam fliehen.

Dönhoff beschreibt seinen Reisebegleiter, der trotz seines hohen Alters viel Unternehmungslust und Lebensfreude an den Tag legt, mit liebevollem Respekt. Keine der Unzulänglichkeiten des Alltags scheinen Jerry Rosensteins Lockerheit etwas anhaben zu können. Sein Lebensmotto: «A good life is the best revenge.» Ein gutes Leben ist die beste Rache, oder vielleicht besser: die beste Antwort?

Der KZ-Häftling

Worauf Jerry Rosenstein mit seiner optimistischen Lebenshaltung eine Antwort zu geben versucht, zeigt sich auf der zweiten Zeitebene des Buchs: Es sind Rückblenden in die 1930er- und 40er-Jahre. Der jüdische Jugendliche Gerald, wie Jerry ursprünglich hiess, war damals mit seiner Familie brutalsten Nötigungen der Nazis ausgesetzt.

Buchhinweis

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Friedrich Dönhoff: «Ein gutes Leben ist die beste Antwort. Die Geschichte des Jerry Rosenstein.», Diogenes, 2014.

1940, vier Jahre nach der Flucht nach Amsterdam, wurde die Familie von den Nazis verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt. Im Herbst 1944 fand sich Jerry im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wieder. Er entging der unmittelbaren Ermordung, wurde jedoch zur Zwangsarbeit eingeteilt. Damit durfte er zwar vorerst am Leben bleiben, aber das war die Hölle: Hunger, Erschöpfung, Krankheit – und die permanente Angst, irgendwann doch ins Gas geschickt zu werden.

«Auschwitz-Birkenau. Alles ist schwarz, weiss und grau», heisst es in einer der Rückblenden. «Es gibt keine Farbe. Vieles von dem, was wir hier erleben und aushalten müssen, kann man nicht in Worte fassen.»

Die doppelte Befreiung

Im Januar 1945 rückte die sowjetische Armee täglich näher. Die Nazis trieben die überlebenden Gefangenen in Todesmärschen Richtung Westen. Jerry Rosensteins Marsch endete, als russische Soldaten den Zug einholten und die Gefangenen befreiten.

Der mittlerweile 18-Jährige gelangte nun nach Rumänien, dann ans Schwarze Meer und per Schiff nach Frankreich. Wie durch ein Wunder hatten auch Vater und Mutter überlebt. Die beiden älteren Brüder waren tot. Jerry emigrierte mit seinen Eltern nach New York. Aber noch immer fühlte er sich unfrei. Er hatte in der Zwischenzeit entdeckt, dass er homosexuell war. Dies auszuleben war im elterlichen Milieu nicht möglich. So zog er 1949 ins liberale San Francisco.

Subtil verwobene Zeitachsen

Dönhoff erzählt Jerry Rosensteins Geschichte mit einer wohltuend zurückhaltenden Sprache, die ohne Emotionalisierung auskommt. Besonders ist das Buch jedoch vor allem deshalb, weil es die Geschichte dieses Holocaust-Überlebenden auf zwei subtil ineinander verwobenen Zeitachsen erzählt. Dieses Verfahren transportiert das längst Vergangene in die Gegenwart.

Das Buch nutzt eine der letzten Chancen, einen noch lebenden Zeitzeugen zu befragen. Es ermöglicht der heutigen Enkelgeneration eigene Antworten zu finden auf Fragen, die der unfassbare Schrecken der Nationalsozialisten noch immer aufwirft.

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