Das Ehepaar Phil und Joanna lädt seine Freunde regelmässig zu gutem Essen und gutem Wein ein. In der vertrauten Runde wird getrunken und auch ein bisschen am Leben vorbeiphilosophiert, auf höchst gebildetem Niveau, wie es der britischen Mittelklasse gebührt. Ein gepflegtes Gespräch mit temporeichen Dialogen über Politik, das Rauchen, die eigene Gesundheit, das Älterwerden – und natürlich immer wieder über Sex.
Literarische Leckerbissen
Doch diese Gesellschaftsdebatten sind nur die Beilagen zu Julian Barnes neu erschienenen Kurzgeschichten. Zehn Hauptgänge serviert er uns, und es sind literarische Kostproben, die dem Leser auf der Zunge zergehen.
Da sind die beiden alternden Autorinnen, die eine enge Freundschaft verbindet, aber nicht zu eng wohlgemerkt: «Insgeheim fand jede die Werke der anderen nicht ganz so gut, wie sie vorgab, aber schliesslich fanden beide auch die Werke aller anderen nicht ganz so gut, wie sie vorgaben, also hatte das nichts mit Heuchelei zu tun.»
Da ist aber auch der Mann, der nach dem Tod seiner Frau auf die Insel ihrer ersten Liebe zurückfährt, in der Hoffnung, seinen Kummer dadurch zu überwinden. «Aber er konnte nicht über den Kummer gebieten. Der Kummer gebot über ihn.»
Geschichten mit doppeltem Boden
Die Kurzgeschichten sind Barnes‘ erste literarische Reaktion nach dem Tod seiner Frau Pat Kavanagh im Jahr 2008. Es sind höchst unterhaltsame, ironische, boulevardeske Geschichten, die immer einen doppelten Boden haben, unter dem sich Trauer, Verlust, Vertrauensbrüche oder eine gescheiterte Liebe verbergen.
Besonders poetisch und essayistisch-tiefgründig sind die Geschichten im zweiten Teil. In «Carcassonne» schlägt Barnes kunstvoll den Bogen von Giuseppe Garibaldis Liebe zur Brasilianerin Anita Riberas über den Geschmack von Sperma nach dem Verzehren gewisser Speisen bis hin zur Weinverkostung. Ein wunderbarer Essay über die Liebe und den Geschmack mit einem zauberhaften Resümee: «Sich zu verlieben ist der heftigste Ausdruck von Geschmack, den wir kennen.»