Die wenigen Fotos zeigen einen ausnehmend schönen Mann à la Humphrey Bogart: melancholische Gesichtszüge, tief gefurchte Stirn, buschige dunkle Augenbrauen, umschatteter Blick.
Alfred Hayes wurde 1911 in eine jüdische Familie im Londoner East End geboren. Sein Vater, ein ausgebildeter Geiger, brachte Frau und Kinder als Friseur und gelegentlich auch als Anbieter von Wetten durch.
1914 zog die Familie nach New York. Dort arbeitete Hayes nach Schule und Studium als Reporter bei verschiedenen Zeitungen und schrieb Gedichte. Zum Beispiel jenes über den legendären Gewerkschafter Joe Hill, das später vertont wurde und Joan Baez einen Hit bescherte («I Dreamed I Saw Joe Hill Last Night»).
Drehbücher für italienische Star-Regisseure
Während des Zweiten Weltkriegs war Hayes in Italien stationiert, blieb hängen und wirkte als Drehbuchschreiber an Klassikern des Neorealismus mit, darunter Roberto Rosselinis «Paisà» und Vittorio De Siccas «Fahrraddiebe». Auch zwei Romane entstanden in der Zeit – einer der beiden, «The Girl on the Via Flamminia», wurde 1953 unter dem Titel «Act of Love» mit Kirk Douglas verfilmt.
Alfred Hayes kehrte dann in die USA zurück, schrieb für Hollywood und später auch fürs Fernsehen und publizierte fünf weitere Romane. Sie wurden in verschiedene Sprachen übersetzt, und Hemingway rühmte Hayes als eine der bemerkenswertesten Begabungen der jüngeren amerikanischen Literatur. Trotzdem wurde es irgendwann still um ihn. Keines seiner Bücher war mehr erhältlich, als er 1985 starb.
Stupendes erzählerisches Talent
Kürzlich aber wurden in Amerika zwei seiner Romane begeistert wiederentdeckt, «My Face for the World to See», eine gnadenlose Abrechnung mit Hollywood, und «In Love», der nicht minder gnadenlose Rapport einer gescheiterten Liebe. In einer neuen Übersetzung dieses Romans aus dem Jahr 1953 lässt sich Hayes stupendes erzählerisches Talent nun auch auf Deutsch bewundern.
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«In Love» beginnt schräg und doch folgerichtig: «Also, sagte der Mann in der Hotelbar zu der hübschen jungen Frau, ich bin fast vierzig, nicht ganz unbekannt, habe etwas Geld auf der Bank, eine günstig gelegene Wohnung, bin telefonisch leicht erreichbar, meinen Gesichtsausdruck finden Sie wahrscheinlich passend, meine Hand hier auf diesem Tisch ist real, alles an mir ist real, wenn man nicht allzu genau hinschaut.»
Subtile Folgerichtigkeit
Der namenlose Ich-Erzähler, der hier seinen Mehrwert in die Waagschale einer Anmache wirft, verlor seine ebenfalls namenlose Geliebte an einen schwerreichen Industriellen. Dieser, eine Zufallsbekanntschaft, hatte tausend Dollar für eine Nacht geboten. Natürlich lehnte die Frau ab – um schliesslich in einer Ehe mit dem Unterbreiter der obszönen Offerte zu landen.
Auch das ist von subtiler Folgerichtigkeit: Die Frau glaubt, ausser ihrer vergänglichen Schönheit nichts vorweisen zu können und erwartet Schutz von der Liebe; der Ich-Erzähler hat diffuse Bindungsängste und sieht im «sehr praktischen Idyll» einer unverbindlichen Affäre eine Möglichkeit, der inneren Leere zu entkommen.
Traurige kleine Sätze
Beide sehen in der Liebe «unsere Rettung» und merken zu spät, dass sie in einer Falle sitzen. Auch davon berichtet der Ich-Erzähler an dem langen Nachmittag in der Bar. Und er seziert seinen Liebeskummer, ohne ihn zu verstehen: «Eine Art Sprachlosigkeit ist über mich gekommen. Ich kann die Gegenstände, die zu meiner Welt gehören, nicht mehr benennen – ein Ornithologe, für den alle Vögel das gleiche Gefieder haben, ein Gärtner, für den alle Blumen gleich aussehen.»
Mit analytischer Schärfe zeigt Hayes die Mechanismen der Liebe auf, nicht nur die psychischen, sondern auch die gesellschaftlich und ökonomisch bedingten. Fast noch eindrücklicher die Figuren: zerbrechlich, ohne festen Boden unter den Füssen, aber fähig zu beissender Ironie. Oder zu sehr wahren, traurigen kleinen Sätzen wie diesem: «Ich war nur ein Irrtum, der ihr beinahe passiert wäre.»