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Menschen gehen an einer Mauer vorbei, im Hintergrund ein riesiges, prunkvolles Gebäude.
Legende: Das Parlamentsgebäude, das Ceausescu in Bukarest errichten liess, erinnert bis heute an die Diktatur. imago/bonn-sequenz

Literatur Ein Zürcher verarbeitet sein Leben im totalitären Rumänien

Propaganda, Verhaftung, Willkür: Andrei Mihailescu lebte im totalitären Rumänien unter Ceausescu, bevor er 1981 mit seinem Vater in die Schweiz floh. In seinem ersten Roman «Guter Mann im Mittelfeld» erzählt er von diesen erschütternden Verhältnissen – spannend wie in einem Krimi.

Das Buch beginnt bedrückend. Stefan, angesehener Journalist einer linientreuen Bukarester Tageszeitung, wird aus der Haft entlassen. Über eine Woche war er von der Bildfläche verschwunden. Niemand wusste, wo er war.

Buchhinweis

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Andrei Mihailescu: «Guter Mann im Mittelfeld». Nagel & Kimche, 2015.

Es war eine willkürliche Entführung der Securitate, dem rumänischen Geheimdienst. Man wollte dem Reporter, der immer mal wieder harmlos die Grenzen des Systems auslotete, einen Denkzettel zu verpassen.

Zu viele Geheimdienstmitarbeiter

Andrei Mihailescu, Autor des Buches «Guter Mann im Mittelfeld», kennt die geheimdienstliche Willkür gut. «Ceausescu hatte die Securitate personell und materiell enorm vergrössert. Das führte dazu, dass es kaum noch Dissidenten gab. Da fing man an, Leute zu verfolgen, die sich nichts hatten zu Schulden kommen lassen.»

Mihailescu weiss, wovon er spricht. Er war erst 15 Jahre alt, als er mit seinem Vater mittels Touristenvisum in die Schweiz floh. Mutter und Bruder mussten zurückbleiben. Indem man nur einem Teil der Familie Visa gab, wollte man die Republikflucht verhindern.

Doch für Mihailescus Familie waren die Repressalien unaushaltbar geworden. Schon der Grossvater war Ende der 1950er-Jahre sieben Jahre von der Securitate verschleppt und inhaftiert worden. Das führte dazu, dass die gesamte Familie immer wieder schikaniert wurde.

Eine permanente Bedrohung

Die Erfahrungen seiner eigenen Familie hat Andrei Mihailescu in seinem ersten Buch verarbeitet. Es herrscht ein raues Klima in dieser Geschichte, die im Bukarest der 1980er-Jahre spielt. Da gibt es Arbeiter, die einen Sündenbock für Diebstähle auf ihrer Baustelle suchen. Redaktionskollegen, denen man nicht trauen kann. Einen alten Pfarrer, der sich seine Integrität wahrt, und dafür mit dem Leben zahlt.

Und immer ist da, bedrückend und beengend, die permanente Bedrohung durch die Schergen der Diktatur. Die Hauptfigur Stefan erkennt immer mehr die Zusammenhänge hinter den Kulissen des rumänischen Regimes.

Die Radikalisierung des Journalisten

Der Journalist wird zunehmend oppositioneller. Das bleibt nicht lange unbemerkt. Die Szenen, in denen Stefan vom Geheimdienst mit brutalsten Mitteln eingeschüchtert wird, gehen unter die Haut. Andrei Mihailescu schildert Stefans Radikalisierung ohne Schnörkel, ohne Pathos.

Zur Person

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Andrei Mihailescu wurde 1965 in Bukarest geboren und kam 1981 in die Schweiz. In Zürich studierte er Informatik, später folgte ein Studium in Politikwissenschaft. Er engagiert sich für Menschenrechte. «Guter Mann im Mittelfeld» ist sein erster Roman. Einen Auszug daraus kann man auf Mihailescus Website lesen.

Wie in Zeitlupe verfolgt man als Leser Stefans Innensicht: «Erst dann verstand er wirklich. Der Mann mit dem Hut verkörperte das, wozu dieses Land die Menschen umformte. Es normierte und reduzierte ihr Leben. Es gab vor, was richtige Proletarier zu wünschen hatten. […] Es erzog sie dazu, jede unbewilligte Initiative, jeden spontanen Wunsch und jede Eigenart als abwegig zu betrachten.»

Aufarbeitung der eigenen Geschichte

Mit seinem Roman schlägt Andrei Mihailescu eine Brücke zwischen Ost und West. Anfangs 2000 hatte er dies schon einmal mit der Gründung einer Menschenrechtsorganisation versucht. Doch die Vorstellungen von Unterstützung gingen auf rumänischer und auf Schweizer Seite zu sehr auseinander.

Das Buch ist der erneute Versuch, diese Annäherung zu leisten. Für die Exil-Rumänen, die bei der Buchvernissage am vergangenen Sonntag zum Teil zu Tränen gerührt waren, ist es auch eine Aufarbeitung der eigenen Geschichte. Darüber hinaus ist «Guter Mann im Mittelfeld» spannend wie ein Krimi – leider mit realem Hintergrund.

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