Was sich liebt, neckt sich. Das trifft besonders auf Inge Feltrinelli und Klaus Wagenbach zu. Seit über 50 Jahren sind sie befreundet, haben Hochs und Tiefs in der Verlagsbranche erlebt, Schönes und Trauriges auch im Privatleben geteilt. Und heute teilen sie die Erinnerungen daran. Wenn sie sich treffen – wie am vergangenen Wochenende auf dem Monte Verità anlässlich der «Eventi Letterari» – diskutieren sie gern über Politik, über schöne Bücher und über die vielen Feste, die sie in Mailand, Frankfurt und Berlin zusammen gefeiert haben.
Klaus Wagenbach habe, so Inge Feltrinelli, die besten Feste in Berlin gegeben. Aber man habe sie sich verdienen müssen, weil er vorgängig gern noch ein kleines Kulturprogramm angehängt habe. Und getanzt hätten sie zusammen, zum Beispiel als die Nachricht vom Tod des spanischen Diktators Franco eingetroffen sei. Und das orgiastische Fest zum 60. Geburtstag von Max Frisch mit algerischem Wein. Doch all das ist lange her. Eine Spur der Wildheit und Verwegenheit ihrer Jugendjahre ist aber heute noch spürbar: Man glaubt es, wenn Inge Feltrinelli sagt: «Wir sind noch für alle Abenteuer bereit.»
Vom Model zur Verlegerin
Inge Feltrinelli ist in der Tat eine schillernde Figur. Bekannt wurde sie in den 50er-Jahren als Fotografin und Model. Dann lernte sie den italienischen Verleger und Intellektuellen Giangiacomo Feltrinelli kennen, heiratete ihn, folgte ihm nach Mailand und stieg ins Verlagswesen ein.
Nach dem frühen Tod ihres Mannes 1972 übernahm sie die Leitung des italienischen Verlagshauses und machte es zu dem, was es heute ist: Einer der bedeutendsten unabhängigen Buchverlage Europas und der drittgrösste Verlag Italiens. Zum Haus gehören auch über hundert Buchhandlungen, in denen viele Veranstaltungen stattfinden. Damit ist Feltrinelli eine wichtige Kulturinstitution in Italien.
Der meistbestrafte deutsche Verleger
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Der Verlag Klaus Wagenbach ist kleiner. Er ist ein renommierter deutscher Verlag, der unter anderem bekannt ist für seine schön gestalteten Bücher und seine politischen Publikationen. Dieses Jahr feiert der Verlag sein 50-jähriges Bestehen als «unabhängiger Verlag für wilde Leser», wie es im Titel des Jubiläumsbuches heisst. Wagenbach ist auch der wichtigste deutsche Verlag für zeitgenössische Literatur aus dem italienischen Sprachraum.
Auch Klaus Wagenbach hat eine illustre Vergangenheit. Er ist ein unabhängiger und eigenwilliger Verleger. Sein Verlag, anfänglich als Kollektiv geführt, war eine wichtige Institution der 68er-Bewegung. Als überzeugter Linker geriet Klaus Wagenbach dann auch mit dem Gesetz in Konflikt, weil er Bücher von Mitgliedern der RAF (Rote Armee Fraktion) veröffentlichte. Klaus Wagenbach – so heisst es auf der Rückseite seines Erinnerungsbuches «Die Freiheit des Verlegers» – war der meistvorbestrafte deutsche Verleger.
Mit einem Bein im Abgrund
Wenn sich die beiden 83-Jährigen heute zum Gespräch treffen, reden sie über Bücher. Auch darüber, was es heisst, im heutigen Umfeld als unabhängige Verlage zu überleben. Dabei macht beiden die heutige Entwicklung mit den elektronischen Medien Sorgen.
Es sei ein Abenteuer, heute noch anspruchsvolle und schöne Bücher zu publizieren. Ein Stück weit auch Liebhaberei. Klaus Wagenbach leistet sich solche Liebhabereien, wenn er Bücher über Giorgio Vasari publiziert, einfach weil er von diesem Maler und Kunsthistoriker aus der Renaissance fasziniert ist. Dazu meint Inge Feltrinelli, Klaus Wagenbach sei einer der letzten grossen Verleger der Welt, ein Utopist, einer der sogar sein Haus verkauft habe, um den Verlag zu gründen.
Für dieses Engagement wurde Klaus Wagenbach am vergangenen Wochenende auf dem Monte Verità mit dem Enrico-Filippini-Preis geehrt. Die Laudatio hielt seine langjährige Verlegerfreundin Inge Feltrinelli.
Leidenschaft für Italien
Noch etwas teilen die beiden miteinander: Ihre Liebe zu Italien. Klaus Wagenbach gehört der sogenannte Toskana-Fraktion an. Er verbringt wie viele deutsche Intellektuelle aus seinem Jahrgang viel Zeit in Italien. Es ist die Mischung aus Anarchie und Genuss, die ihn – aber auch Inge Feltrinelli – fasziniert.
Zusammen haben sie auch das Mailand der wilden 60er-Jahre erlebt. Den kulturellen Aufbruch, die legendären Partys, vor allem aber die politischen Diskussionen. Sie waren an den Treffen der Gruppe 63 dabei, einer italienischen Literaturbewegung, die sich um eine Erweiterung der traditionellen Inhalte bemühte. Sie war das italienische Pendant zur legendären Gruppe 47 in Deutschland. Und sie waren beide fasziniert von den italienischen Kommunisten.
Heute blicken Inge Feltrinelli und Klaus Wagenbach gerne auf diese Zeit zurück und wenn sie davon erzählen, spürt man, was es ihnen bedeutet. Als kleine Reminiszenz an jene Zeit trage Klaus Wagenbach aus ideologischen Gründen immer rote Socken, sagt Inge Feltrinelli und lacht schelmisch.