SRF: Sie befassen sich tagtäglich mit Geld, Notenbanken, Inflation und Bilanzen. War für Sie die Lektüre fast etwas langweilig – oder gleichwohl spannend?
Susanne Giger: Ich habe mich keine Sekunde, keine Zeile gelangweilt. Das liegt an den Roman-Figuren, die Enzensberger gewählt hat, aber auch daran, wie er die wirtschaftlichen Zusammenhänge aufgreift und die Begriffe im Plauderton erklärt. Das Buch ist für Jung und Alt, für Experten und Laien geschrieben.
Was sind das für Figuren und wie stehen die zueinander?
Die Hauptfigur ist die uralte Tante Fé. Sie reist jeweils von ihrer Villa am Genfersee zu ihren einzigen Verwandten nach Deutschland, zur Familie Federmann. Die Tante möchte den drei Kindern die Wirtschaft näher bringen. Dazu lädt sie sie jeweils in ein Luxushotel ein. Diese offenbar reiche Tante Fé hat es faustdick hinter den Ohren: Sie ist eine gewiefte Zynikerin, die viel erlebt hat und die einfachen, guten Fragen der Kinder jeweils unbefangen und scharfzüngig beantwortet.
Wie erklärt sie die Wirtschaft?
Zur Schattenwirtschaft sagt sie, die meisten Reichen hätten längst vorgesorgt. Ein kleines Depot in Singapur, ein wertvolles Bild oder ein paar Diamanten von denen die Gläubiger nichts wissen. Eines der Kinder fragt, ob das legal sei. Ihre Antwort: «Wisst ihr, der Anwalt aus der Schweiz, der kennt die Gesetze so gut, der findet immer einen passenden Artikel.» Beim Thema Hypotheken sagt sie: Eigentlich bekomme man von Banken nur dann Kredite, wenn man keine braucht. Sie ist scharfzüngig, nimmt kein Blatt vor den Mund. Die Themen des Alltags verpackt in einen erfrischenden Dialog zwischen Alt und Jung.
Es fallen auch volkswirtschaftliche Begriffe wie Kredit und Hypotheken. Wie erklärt Tante Fé diese Begriffe?
Sie gibt den Kindern jeweils Aufgaben. Sie sollen zum Beispiel herausfinden, woher ihre Sachen zuhause kommen: Spielzeug aus China, Kleider aus der Türkei. Dann zeigt sie auf, wie viele Menschen dafür arbeiten und wie die Löhne entstehen. Oder sie fragt ganz einfach: «Woher kommt das Geld?» Dann verbindet sie das gleich mit dem Mechanismus der Inflation, macht die Kurve zur Notenbank. Das alles klingt bei der alten Tante ganz einfach. Sie bringt all die Schlagwörter, die man aus den Medien kennt: EZB, Mario Draghi, Kredite oder Derivate.
Gelingt dieser Spagat zwischen Lehrbuch und Roman, zwischen Pädagogik und spannender Handlung?
Gerade in der ersten Hälfte fallen die Schlagwörter manchmal etwas zu dicht. Mit dem immergleichen Plauderton und Ablauf wirkt das mit der Zeit etwas angestrengt. Die Spannung ist zur Mitte noch da, weil die Neugier steigt: Wer ist diese Tante Fé wirklich? Woher kommt sie? Woher hat sie das Geld? Das Geheimnis wird gelüftet und der letzte Teil wird dann so richtig dynamisch. Die Mischung zwischen abenteuerlicher Familiengeschichte und Wirtschaftsinformationen tut gut. Ich las genüsslich und musste immer wieder schmunzeln. Wenn sie zum Beispiel von Milliardären erzählt, die für ihre Börsengeschäfte Wahrsager und Astrologen beschäftigen. Das Buch ist angenehm zu lesen, angenehm sind aber auch die vielen Grafiken und Bilder. Von der ältesten Aktie bis zu aktuellen Notenbanken. Insgesamt kann man sagen, es ist keine hochstehende Literatur, aber ein vielseitig, scharfsinniges und amüsantes Buch, das in der zweiten Hälfte an Fahrt gewinnt.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur kompakt, 18.11.2015, 17.45 Uhr