Brazzaville, Republik Kongo: Im Armenviertel «Trois Cent» steht die Bar «Angeschrieben wird nicht». Die Bar ist Heimat und Zuflucht für Säufer, gestrandete Figuren, gescheiterte Existenzen. Einer von ihnen ist «Zerbrochenes Glas». Er sitzt Tag und Nacht in einer Ecke der Bar und beobachtet die Leute. Eines Tages schenkt ihm «Sture Schnecke», der Besitzer der Bar, ein Heft. Von da an schreibt er die Geschichten der Bar-Besucher auf. Dies die Ausgangslage des Romans «Zerbrochenes Glas» des kongolesischen Autors Alain Mabanckou.
Tragikomische Geschichten
Fast alles sind tragische Geschichten. Sie erzählen von Gewalt, Armut, sexueller Not, von Beziehungsproblemen zwischen Männern und Frauen. Doch die Geschichten sind voller Galgenhumor. Denn die Figuren sind nicht einfach Opfer. Alain Mabanckou erzählt ihre Geschichten so, dass das Tragische oft ins Heitere und Komische kippt. Dennoch, das Lachen bleibt oft im Halse stecken. Zum Beispiel bei der Geschichte von «Pamper».
«Pamper» taucht eines Tages in der Bar auf. Er heisst so, weil er Windeln trägt, und er will, dass «Zerbrochenes Glas» seine Geschichte aufschreibt. Sein Unglück beginnt an dem Tag, als ihn seine Frau aus dem Haus schmeisst. «Pamper» hat sich zu oft bei den Prostituierten im berüchtigten Stadtviertel Rex herumgetrieben.
Der Ehekrach endet damit, dass «Pamper» des Diebstahls, des Drogenhandels und der Unzucht mit seiner eigenen Tochter bezichtigt wird und im berüchtigtsten Knast der Stadt landet. Dort wird er von den Mitgefangenen so oft vergewaltigt, bis er Windeln tragen muss.
Eine schreckliche Geschichte, die aber durch die Art, wie Mabanckou sie erzählt, immer auch eine Spur Hoffnung ins sich trägt. Trotz des elenden Lebens dieser Figur ist man von ihr gefesselt und zwar deshalb, weil «Pamper» auch in den dunkelsten Zeiten den Humor nicht verliert.
Man spürt in diesem Roman Alain Mabanckous Sympathie zu diesen Figuren, die sich am Rande der Gesellschaft bewegen. Diese Mitleid erregenden Gestalten, die auf der Strasse leben, aber tief im Innern die Hoffnung, den Glauben nicht aufgegeben haben, dass sich die Dinge zum Besseren wenden, dass sie sich wieder aufrichten werden. Die Figuren, die allein durch die Kraft des Humors überhaupt weiter leben können.
Wie ein Wortschwall
Das Besondere am Roman «Zerbrochenes Glas» ist die Sprache. Das Buch beginnt mitten in einem Satz und hat keinen einzigen Punkt. Das Buch ist ein einziger Wortschwall, der auf die Leser niederprasselt. Man hört die Leute förmlich reden, wenn man liest. Es ist fast so, als befände man sich selber in dieser Bar. Ein Stil, der einen mitreisst. Er hat etwas Opernhaftes, Vielstimmiges, es ist beinahe eine Art Kontinuum des Erzählens.
In diesem Zusammenhang muss man auch der Sprachwitz von Alain Mabanckou erwähnen. Dieser zeigt sich einerseits daran, wie die Figuren ihre Geschichten erzählen, andererseits an den phantasievollen Namen der Figuren: «Sture Schnecke» der Barbesitzer, «Kasimir der Geograf», der so heisst, weil er die Umrisse Afrikas in den Sand pinkeln kann oder die Hauptfigur «Zerbrochenes Glas», die so heisst, weil sie am Leben zerbrochen ist.
Schauplatz Bar bewusst gewählt
Auffällig ist, dass viele Romane von Alain Mabanckou in einer Bar spielen. Ein Schauplatz, der es ihm angetan hat. Die Bar sei der Ort, wo die Leute frei reden könnten, erklärt Mabanckou. Meist seien es Bars mitten in einem Quartier, verlorene Ecken, in denen die Polizei nie auftauche, die Arme des Machtapparates nie hinkommen. Und genau hier, in diesen Bars, könnten die Leute ihren Worten freien Lauf lassen.
Alain Mabanckou gehört zu den afrikanischen Autoren, die gut ausgebildet sind und in Europa und den USA leben. Doch seine Geschichten führen immer wieder zurück in die Heimat, wie eben sein Roman «Zerbrochenes Glas». Was den Roman auch auszeichnet, ist die Art, wie sich Alain Mabanckou über die Regierung lustig macht. Er nimmt sie auf die Schippe, legt ihre Dummheit, ihren Dünkel bloss. Dies macht er auf subtile Weise, aber doch so, dass man merkt, wie noch der Geringste im Land um diese Dummheit und Lächerlichkeit weiss.
Paradigmenwechsel bei den jüngeren Autoren
Afrika-Kenner und SRF-Korrespondent Ruedi Küng sagt dazu, dass man diese Kritik am Machtapparat bei vielen jüngeren Autoren aus Afrika lese. Die Kritik an den autoritären Regimen komme in der Literatur des neuen und unabhängigen Afrika manchmal sehr deutlich zum Ausdruck, manchmal schwinge sie nur mit.
Allgemein sei festzustellen, dass junge Autoren heute mit den Mitteln des Sarkasmus und der Häme über die Machthaber schrieben, ganz im Gegensatz zur älteren Generation von afrikanischen Schriftstellern, die früher eher das Leiden, zum Beispiel die Gefängnisrealität beschrieben hätten. Heute machten sich die Autoren über die Gockel lustig und dies eben oft in einer Bar. Ein klarer Paradigmenwechsel.