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Literatur Explizit wie ein Porno und doch ein Plädoyer für die Liebe

Eine Frau verliebt sich in den Masseur, setzt ihre Beziehung aufs Spiel. Das ist kein Groschenroman, sondern der Plot von Sibylle Bergs neuem Buch – einer nüchternen Ehe-Analyse. «Der Tag als meine Frau einen Mann fand» geht der Frage nach, ob es sich lohnt, für eine Schwärmerei die Ehe aufzugeben.

Der Roman handelt von Rasmus und Chloé – seit vielen Jahren ein Paar. Sie kennen die Stärken und Schwächen des anderen, interessieren sich für Kunst und Kultur, sind einander zugetan. Liebe wurde zu Freundschaft. Sex findet selten statt, war auch nie sehr wichtig in ihrer Beziehung. Bis zum Tag, an dem Chloé sich in den gemeinsamen Ferien ausgerechnet in den Masseur verknallt.

Sex, Sex, Sex

Chloé denkt von nun an nur noch an Sex. Sie reist zwar zurück mit ihrem Mann Rasmus, lässt aber den Masseur nachkommen und quartiert ihn zuhause ein. Lebt mit ihm den Sex aus, den sie bislang nicht kannte.

Die Erzählerin wäre nicht Sibylle Berg, wenn das alles nicht sehr explizit beschrieben würde. Doch die Autorin schildert auch die andere Seite dieser Geschichte: Rasmus, der leidet. Rasmus, der versucht Verständnis zu haben. Rasmus, der zuhört, wie Chloé und der Masseur Sex haben.

Verliebheit ist Verblödung

Buchhinweis

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Sibylle Berg: «Der Tag, als meine Frau einen Mann fand.» Carl Hanser Verlag, 2015.

«Es ist ja keine neue Erkenntnis, dass Verliebtheit wie eine Geisteskrankheit ist. Eine Art Verblödung», kommentiert Sibylle Berg die Situation. Sie wirft die Frage auf, wie klug es ist, den Partner, der mit einem durch Dick und Dünn gegangen ist, im Stich zu lassen – nur weil die Homone wirbeln.

Oder gibt es einen anderen Weg? Im Buch ist Chloé so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht merkt, wie Rasmus leidet. Zwar ahnt sie, dass die Verliebtheit sich verflüchtigen wird, doch will sie alles ausleben, ohne Rücksicht. Sibylle Berg erspart dem Leser nichts: Immer abwechselnd schildert sie die Lage aus seiner und ihrer Sicht. Typisch Berg, dass sich ihre Figuren so in der Situation verheddern, dass sie ausweglos scheint.

Beim Lesen und im Gespräch mit Sibylle Berg wird man das Gefühl nicht los, dass sie eine Lanze bricht: gegen den Verrat am Partner, gegen das Fremdgehen. Auch in ihrer aktuellen Annabelle-Kolumne schreibt sie über das Fremdgehen: «Machen wir uns nichts vor: Es ist Betrug. Es ist schrecklich, es tut weh, denn man kann den Partner nicht lieben, wenn man in einen anderen Menschen verliebt ist.»

Pornografisch und doch romantisch

Es geht Sibylle Berg nicht darum, den moralischen Zeigefinger zu erheben. Das Leben sei schwierig genug, findet sie, und jeder müsse selber entscheiden, wie es für ihn passe.

Doch mit ihrem Buch stellt sie zur Diskussion, ob es sich lohnt, alles aufzugeben, wenn nach langer Zeit die Hormone plötzlich wieder fliessen und man sich für einen kurzen Moment wieder jung und wild fühlt. «Die Frage ist doch, geh ich dem nach oder geh ich dem aus dem Weg? Man ahnt ja wie es rauskommt», schliesst Berg ihre Überlegungen ab.

Das ist, für eine, die sich und den Lesern in ihren Büchern nichts erspart, eigentlich ein sehr mildes Plädoyer für die Liebe. Fast könnte man meinen, Sibylle Berg, die Schriftstellerin, die sich durch ihren nüchtern, erbarmungslosen Blick auf unsere Gesellschaft auszeichnet, sei eine grosse Romantikerin. Ihr Buch, das sich stellenweise wie ein Porno liest, lässt diesen Schluss durchaus zu.

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