Es gibt wirklich einen Mann namens Hans Christoph Buch: Geboren 1944 in Wetzlar. Er schreibt Reportagen, Essays, Artikel und Romane. Er ist unter den deutschen Schriftstellern der grosse Reisende und der einzige, der auch ein haitianischer Autor ist. Sein Grossvater betrieb in Port-au-Prince eine Apotheke und heiratete eine einheimische Kreolin, die genau zwei Worte Deutsch konnte: Schwein und Kartoffeln. Die Werke des Enkels, in denen Haiti eine wichtige Rolle spielt, werden in französischer Übersetzung auch in Haiti gelesen und ihr Autor gilt dort als «écrivain haitiano-allemand». Dieser Hans Christoph Buch führt uns in seinem neuen Roman «Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod» denn auch wieder nach Haiti. Das Haiti aber, das er gut gekannt und sehr geliebt hat, ist in einem grossen Erdbeben untergegangen und wird nie mehr auferstehen: Es ist tot.
Was uns Hans Christoph Buch in drastischen, gelegentlich schockierenden Bildern zeigt, ist ein kaputtes und korruptes Haiti, eine Insel in Totenstarre, bevölkert von Überlebenden, die in Gesellschaft ihrer toten Angehörigen leben. Das Leben auf dieser Insel ist ein Leben nach dem Tod.
Der andere Buch
In einem anderen Teil dieses Romans, gibt es einen anderen Buch: Den H. C. Buch, eine Romanfigur. Er ist zum Teil identisch mit dem wirklichen, zuvor genannten Buch, zum Teil nicht. Er führt uns nach Südfrankreich auf den Spuren seiner Kindheit, begibt sich also auf eine Reise in die Erinnerung, in die Vergangenheit und in die Autobiografie. Wenn er mit seiner Exfrau Judith durch die Lande reist, entsteht der Film der 60er-Jahre. Plötzlich stehen die beiden am Strand auf dem Sand, auf dem sie sich vor 50 Jahren geliebt haben. Plötzlich hören sie noch einmal die Musik jener Zeit, tanzen die Tänze jener Partys, und begegnen den Freunden von damals. Dass auch derartige Erinnerungen, an die wir ja gewohnt sind, eine Art Beschwörung von Vergangenem und Totem sind, wird uns bewusst durch das übergreifende Romanthema vom Leben nach dem Tod. Ungewohnt allerdings ist es, zu lesen, dass dieser H. C. Buch stirbt. Ja, er kommt unter dramatischen Umständen ums Leben.
Dracula übernimmt
Tot ist er, der H. C. Buch, aber der Roman geht weiter. Der Tote macht Platz für eine Reihe zwielichtiger Figuren: Figuren, die halb real und halb erfunden, halb tot und halb lebendig sind. Dracula zum Beispiel. Er ist Botschafter von Transsilvanien und arbeitet für die Unesco in Paris – des Nachts jedenfalls. Tagsüber ruht er standesgemäss im Grab Napoleons im Dome des Invalides. Oder, anderes Beispiel, Herr de Mohrenschildt, schwedisch-russischer Abstammung, ein Vertrauter von Haitis Diktator Papa Doc. Herr de Mohrenschildt lieferte Lee Harvey Oswald das Gewehr, mit dem dieser 1963 den amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy erschoss. Diktator Papa Doc hat zeitlebens behauptet, Kennedy sei durch einen Voodoo-Fluch ums Leben gekommen.
Wenn Sie nun wissen wollen, ob diese Geschichte der historischen Wahrheit entspricht oder eine Erfindung des Autors ist, so gilt die Devise: Googeln Sie mal! Das nämlich erhofft sich der Autor – also der wirkliche, noch lebende Buch – dass der Leser, die Leserin sich mit seinen Geschichten befasst. Oft werden die Leser feststellen, dass die Wirklichkeit die phantastischsten Geschichten liefert.
Der Herr vom Kreuz
Gewidmet ist dieses Buch dem «Baron Samstag», alias Maître Lacroix: Er ist im Voodoo-Kult, der auf Haiti noch immer praktiziert wird, der Totengott. Hans Christoph Buch hat nicht nur Voodoo-Zeremonien erlebt, er wurde auch einer Voodoo-Göttin geweiht. Was ihn an Baron Samstag interessiert, ist dessen Zwiespältigkeit. Baron Samstag ist komisch und schrecklich zu gleich. Er ist Mann und Frau zugleich. Er ist sogar obszön – er verbindet Sexualität und Tod, Anfang und Ende des Lebens.
Ob er realistisch bleibt oder phantastisch wird, der Schriftsteller Hans Christoph Buch liebt in beiden Fällen das wild Wuchernde. Damit sein Roman sich nicht im Chaos verliere, hat er das Üppige in eine strenge Form gebracht:
In drei Büchern behandelt der Autor jeweils drei Themen – immer unter den gleichen Überschriften: Die Reise durch Südfrankreich, die Reise durch Haiti und die Totenbeschwörung. Neun Kapitel also, der Autor sagt, er erzähle in Form einer Spirale. Das klingt komplizierter als es sich liest. Hans Christoph Buchs «Baron Samstag» ist ein anmutiger Tanz auf dem Glatteis. Im Zwielicht nähern sich schwankende Gestalten, die manchmal erfunden, manchmal real, manchmal tot und manchmal lebendig sind.