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Ferdinand von Schirach, an einem Tisch sitzend, mit verschränkten Armen zur Seite blickend.
Legende: Für seinen neuen Roman hat sich Ferdiand von Schirach über ein Jahr vom Gerichtsalltag zurückgezogen. Paul Ponizak

Literatur Ferdinand von Schirachs kriminalistisches Verwirrspiel

Mit den beiden Erzählbänden «Verbrechen» und «Schuld» erzielte der deutsche Strafverteidiger und Schrifsteller Ferdinand von Schirach vor ein paar Jahren sensationelle Erfolge bei Publikum und Kritikern. Mit dem Roman «Tabu» schlägt er jetzt literarisch einen ganz neuen Weg ein.

Eigentlich hätte Ferdinand von Schirach sein bewährtes Rezept noch in vielen Bänden fortsetzen können: Spannende Fälle gibt es in seinem Berufsalltag genug, – und der Blick hinter die Kulissen der Justiz fasziniert die Leute. «Nein, das würde mich langweilen», sagt der Autor dazu, «nur des Erfolges wegen habe ich noch nie etwas gemacht.»

Die Frage der Schuld

Beim Schreiben interessiert es ihn, seine Grenzen auszuloten und sich in neue Genres und Stils vorzuwagen. Vor zwei Jahren erschien sein erster Roman «Der Fall Collini», in dem er nicht nur einen rätselhaften Mord durchleuchtete, sondern gleichzeitig auch ein Stück deutscher Geschichte aufarbeitete. Und jetzt, mit «Tabu» setzt er die Latte noch einmal höher: Sowohl inhaltlich als auch sprachlich und formal betritt er neues Terrain. Nur seinen grossen Themen bleibt Ferdinand von Schirach treu: allen voran der Frage nach Schuld und den Grenzen des Rechtssystems.

Selbstmord des Vaters

Im Mittelpunkt steht Sebastian von Eschburg, ein sensibler, einsamer Junge, der die Welt anders wahrnimmt als seine Altersgenossen: Er ist Synästhetiker. «Er dachte in Bildern, nicht in Worten», heisst es an einer Stelle. «Alle Dinge hatten eine sichtbare und eine unsichtbare Seite.»

Buchhinweis

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Ferdinand von Schirach: «Tabu», Piper 2013.

Hörbuch: Osterwold Audio.

Er wächst in einem gefühlskalten Milieu auf; die glorreichen Tage der noblen Familie sind längst vorbei; das Haus am See verlottert. Und zur morbiden Stimmung passt, dass sich der Vater mit einem Jagdgewehr in den Kopf schiesst. Sebastian wird das grauenhafte Bild ein Leben lang nicht mehr los.

Wahrheit und Wirklichkeit

Er flieht in die Kunst und sorgt mit provokativen Video-Installationen international für Furore. Sein grosses Thema ist die Spannweite zwischen Wahrheit und Wirklichkeit. Er, der ja die Welt schon immer mit anderen Augen betrachtete, wagt eines Tages ein kühnes Experiment und landet vor Gericht: Er wird verdächtigt, seine Halbschwester entführt und ermordet zu haben. Nur fehlt von der Leiche jede Spur.

Der zweite Teil des Romans beginnt mit Eschburgs Verhaftung und erzählt dann das ganze Justizverfahren bis zur Urteilsverkündigung. Hier begegnet man wieder dem «klassischen» Ferdinand von Schirach: Ein spannender Fall wird vor Gericht verhandelt und bietet dem Autor gute Möglichkeiten, auch grundsätzliche juristische Fragen zu reflektieren.

Auf mehreren Ebenen

«Tabu» ist ein rätselhaftes Verwirrspiel, eine Bühne voller Falltüren: geheimnisvoller, abgründiger und melancholischer als alle früheren Bücher von Ferdinand von Schirach. Damit polarisiert er bei den Kritikern: Neben viel Lob gibt es auch Schelte; man verstehe die Geschichte nicht, der Autor habe sich selber überfordert.

Aber es geht in «Tabu» auch nicht darum, jedes Rätsel zu lösen. Gerade weil die Geschichte auf verschiedenen Ebenen erzählt wird, spricht sie ein breites Publikum an: Jene, die einfach einen spannenden Krimi verschlingen wollen, kommen genauso auf die Rechnung, wie jene, die gerne – wie der Künstler von Eschburg – hinter die Dinge blicken wollen. Stoff zum Grübeln gibt es genug.

Sendungen zum Thema

Schlaflosigkeit und Zweifel

19 Monate hat sich Ferdinand von Schirach vom Gerichtsalltag zurückgezogen, um sich voll dem Schreiben zu widmen. Und 20 Kilos hat er dabei abgenommen. Die Arbeit sei ihm an die Substanz gegangen, sagt er im Gespräch: «Es hat mich wahnsinnig viel gekostet an Schlaflosigkeit und Zweifeln. Alles was ich weiss über Kunst und über Justiz steckt da drin. Und ich glaube, ich kann kein besseres Buch mehr schreiben.»

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