Meg Wolitzer erzählt die Anekdote oft: Auf einer Party erkundigte sich ein Gast nach ihrem Beruf und wollte dann von der Schriftstellerin wissen, worüber sie schreibe. «Über Zeitgenössisches. Manchmal über Ehepaare, Familien, Sex», antwortete Wolitzer. Der Gast rief seine Frau herbei: «Die liest solche Romane.» Erst später fiel Meg Wolitzer ein, was sie dem Mann auf die Frage, ob er schon mal von Ihr gehört haben sollte, hätte antworten sollen: «Ja, in einer gerechteren Welt.»
Immerhin hatte die 55-Jährige bereits acht Romane geschrieben. Mehrere waren verfilmt worden, unter anderem von Nora Ephron. Aber wenn es um «Frauenliteratur» geht, sind nicht nur Partygäste diskriminierend. Auch der Literaturbetrieb macht kräftig mit – von der Gestaltung der Buchumschläge bis hin zur Platzierung in den Buchhandlungen. Dort werden Bücher von Schriftstellerinnen meist nur im zweiten Regal angepriesen, wie Meg Wolitzer in ihrem aufmüpfigen New-York-Times-Artikel «The Second Shelf» schreibt.
Nachdenken über ein gelungenes Leben
Die gerechtere Welt gibt es natürlich auch für die 15-jährige Julie Jacobson und die fünf Teenager nicht, die sich 1974 in einem Theater- und Kunst-Sommerlager kennenlernen. Die nennen sich ironisch «Die Interessanten» und haben Grosses vor. Noch vierzig Jahre später halten sie sich die Treue. Viele ihrer Träume sind da längst geplatzt.
«Die Interessanten» schlägt einen Bogen von den 1970er-Jahren bis in die Gegenwart und fächert im Nachdenken darüber, was ein gelungenes Leben ausmacht, viele Facetten auf. Als die sechs Jugendlichen in einem stickigen Tipi konspirativ zusammenhockten, schien noch alles möglich. Aber nur einer von ihnen macht schliesslich eine herausragende Karriere – und stellt das Selbstwertgefühl der anderen damit auf eine harte Probe.
Das Sommercamp als Offenbarung
Neid ist eines der Themen, denen Meg Wolitzer in ihrem neuen Roman nachgeht. Da ist aber auch die Frage, was aus Talent wird, welchen Einfluss Herkunft und Geld auf den Lebenslauf haben, wie Menschen mit Schicksalsschlägen umgehen, mit enttäuschten Hoffnungen oder zu hoch gesteckten Erwartungen.
Für Julie ist das Ferienlager «Spirit-in-the-Woods» in den Wäldern von Massachusetts jedenfalls eine Offenbarung. Gerade eben war ihr Vater qualvoll an Krebs gestorben, und eine Lehrerin hatte ihr in letzter Minute ein Stipendium für dieses hochkarätige Camp vermittelt. Niemand aus ihrem kleinen Kaff auf dem Land bekam je eine solche Chance.
Existenzminimum statt Höhenflug
Die anderen Jugendlichen im Sommerlager, allen voran die fünf, die Julie in ihre Gruppe der Interessanten aufnehmen, sind aus gehobenen New Yorker Verhältnissen. Kein Wunder, ist Julie beeindruckt. Mit angehaltenem Atem sitzt sie beim ersten Treffen im Tipi: «Julie Jacobson, dieses unscheinbare Nichts, liebte diese Gruppe, wie sie plötzlich beschloss. Sie war in sie verliebt und würde es für den Rest ihres Lebens bleiben.»
Es ist eine Liebe, die viele Veränderungen durchläuft, und doch bleiben die sechs einander verbunden und den Prägungen ihrer Pubertät verhaftet. Damals wurden sie sich gewahr, wer sie in Zukunft sein wollten. Doch das Leben zwingt sie dann zu Anpassungen: Julie wird keine erfolgreiche Komödiantin und sattelt auf Psychologie um. Sie betreut fortan unterprivilegierte «Kunden» und dümpelt selbst immer am Rand des Existenzminimums.
Hauptsache besonders?
Ihre glamouröse Freundin Ash hat zwar einen gewissen Erfolg als feministische Regisseurin, steht aber im Schatten von Ethan. Die beiden sind inzwischen ein Ehepaar, er erlebt als Comic-Zeichner eine kometenhaften Karriere. Jonah, der hochbegabte Musiker, kommt über ein Kindheitstrauma nicht hinweg und flüchtet sich in ein Studium am MIT und in die Einsamkeit. Cathy muss das Tanzen aufgeben, weil ihr Körper zu weiblich ist. Und Goodman, Ashs von allen angehimmelter älterer Bruder, geht ganz verschütt.
Gerupft und gezeichnet stehen sie schliesslich alle da, und Julies Ehemann bringt es in einem Wutanfall auf den Punkt: «Etwas Besonderes sein – das wollen alle. Aber, Himmel, ist das wirklich die Hauptsache? Das Wichtigste auf der Welt? Die meisten Menschen haben keine aussergewöhnlichen Talente. Was sollen sie machen? Sich umbringen?»