Ira ist seit einem halben Jahr geschieden und kriegt noch immer seinen Ehering nicht vom Finger. Aber dieser Umstand ist harmlos im Vergleich zu den Macken der Frau, die er zögerlich umwirbt. Freunde hatten eine Begegnung arrangiert. Zora ist Kinderärztin und «in ihren Tonfall mischte sich die Ermattung mit der aufgekratzten Pseudoprofessionalität jener Menschen, denen das offizielle Amt eines Singles auf Partnersuche dumpf vertraut ist.»
Am Schluss gibt es nur Verlierer
Die Beschreibung Zoras ist typisch für Lorrie Moore. Typisch ist auch, wie sie in «Verbellt» die Geschichte zwischen Ira und Zora in die Enge führt. Da ein Mann, der merkt, dass er nie etwas anderes wollte als die Ehe, die nach fünfzehn Jahren abrupt zerbrach. Dort eine Frau, die nicht darüber hinwegkommt, dass ihr Sohn erwachsen wird und ihn deshalb wie einen Geliebten umgarnt.
In einer schneidenden Szene zum Schluss der Erzählung gibt es nur Verlierer. Selten hat man so genau über einen Beziehungsversuch gelesen, der scheitern musste, weil geteilte Einsamkeit noch lange keine Zweisamkeit garantiert. Schon gar nicht mit einer Frau wie Zora, der es einfallen kann, als Aprilscherz die Trennung durchzugeben.
Situationskomik um verpasstes Leben
Viele der Erzählungen im Band «Danke, dass ich kommen durfte» wären schwer zu ertragen, wäre da nicht eine schwebende Atmosphäre von überraschenden Wendungen und irrlichterndem Humor. In der Titelgeschichte etwa schildert Lorrie Moore aus der Perspektive einer alleinerziehenden Mutter eine schräge Hochzeitsgesellschaft auf dem Land.
Das ehemalige Kindermädchen der Tochter heiratet. Dominiert wird das Fest allerdings vom Ex-Mann der Braut und vom Ex-Schwiegervater, beide nach wie vor verliebt: «Einen flüchtigen Augenblick lang fühlte sich alles vollkommen verkorkst an.»
Für Situationskomik rund um verpasstes Leben sorgen jedoch nicht nur die Gäste, sondern auch eine Biker-Gang, die zugedröhnt Rache nehmen will. Bis ihr schwant, dass sie die falsche Landhochzeit erwischt hat.
Geheimnisvoll universell
Dass die Amerikanerin Lorrie Moore im deutschsprachigen Raum ein Geheimtipp geblieben ist, mag auch daran liegen, dass ihren Geschichten das Vorhersehbare und Wohlfeile völlig abgeht. Ihre Themen sind zwar fest verankert in der amerikanischen
Realität, gleiten dann aber auf geheimnisvolle Weise ins Universelle.
So schreibt sie das Foltergefängnis Abu Ghraib in eine Geschichte ein, die von Bindungsflucht erzählt. Eine Reminiszenz an 9/11 paart sie mit der Verzweiflung eines alternden Intellektuellen ob der eigenen Bedeutungslosigkeit und Vergänglichkeit.
Aufgeladene Stimmung, die berührt
Zudem wagt die Autorin, die mit 21 ein Hochbegabtenstudium abschloss, in ihrem neusten Erzählband zwei Umschreibungen berühmter Texte, Vladimir Nabokovs kurzer Erzählung «Signs and Symbols» und Henry James’ Novelle «The Wings of the Dove».
In «Flügel» (nach Henry James) begegnet man einem Paar aus dem Prekariat, das auch durch ein unverhofftes und erschlichenes Erbe nicht glücklich wird. In «Bezüglichkeiten» (nach Vladimir Nabokov) sieht man eine Frau und ihren Freund, den Geburtstag des psychotischen Sohnes begehen.
Beide Male sind es die Männer, die als Leerstellen das, was noch zu retten wäre, vollends verderben. Das ist beklemmend zu lesen, und man braucht die Vorlagen nicht zu kennen, um von der aufgeladenen Stimmung der beiden Erzählungen berührt zu sein.