Wenig interessiert an süssen Schleckereien, begeisterte sich die Evelyne Bloch-Dano bereits als kleines Mädchen für den verlotterten Gemüsegarten hinter Omas Schuppen. Petersilie kaute sie für ihr Leben gern. Als erwachsene Frau engagiert sie sich in Paris mit Vorträgen an der Volksuniversität des Geschmacks. Sie möchte das Gemüse aus dem Reich des Nützlichen retten in die Welt des Genusses. Anschaulich macht sie das im Buch, wenn sie einen kulturgeschichtlichen Gemüse-Überblick gibt, den sie zusätzlich mit literarischen Beispielen sowie Rezepten garniert.
Die Odyssee der Tomate
Zwei Jahrhunderte brauchte die Tomate, um in Europa Fuss zu fassen. Ihr weiter Weg gehört zum Aufregendsten, was die Gemüsegeschichte zu bieten hat. Entdeckt wurde sie in Südamerika als Wildfrucht und von dort wurde sie nach Spanien gebracht.
Hier begegnete man der roten Tomate zuerst einmal mit viel Skepsis. Warum? Sie gehört zu den Nachtschattengewächsen. Eine Familie, die auch giftige Mitglieder hat, wie etwa die Tollkirsche. Es musste Misstrauen abgebaut werden. Evelyne Bloch-Dano nimmt uns mit auf die wechselvolle Reise der Tomate. Eine Reise, die sich als schwierig erwies, denn als zartes Gemüse liess sich die Tomate nicht so gut transportieren. Noch im 18. Jahrhundert war sie in Nordeuropa weitgehend unbekannt.
Rot und saftig
Als Gemüse steht die Tomate für Erotik. Wer herzhaft hineinbeisst, dem läuft die Flüssigkeit nur so die Mundwinkel hinunter. Kein Wunder, schreibt Evelyne Bloch-Dano, dass die Tomate von der chilenischen Schriftstellerin Isabel Allende zu den aphrodisischen Pflanzen gezählt wird. Eine Zuschreibung, die sie übrigens mit der Artischocke teilt.
Auch an Marcel Proust erinnert die Autorin, der in «Sodom und Gomorra» diese erotische Konnotation der Tomate parodiert. Jedoch, so kann man im Buch lesen, hat niemand derartig hingebungsvoll über die Tomate gesprochen wie der Schriftsteller Joseph Delteil. Der Weinbauer bei Montpellier war hin und weg von diesem roten Gemüse. Seine Tomaten nach Lucies Art finden deshalb als Rezept Erwähnung im Buch.
Tomaten nach Joseph Delteil
«Wohlgerundete Tomaten nehmen, schälen und über mässiger Flamme in den Schmortopf geben. Halb garen lassen, jedoch nicht mehr und nicht weniger, darin liegt die Kunst: das Herz der Tomate muss noch ganz roh sein in der angebräunten Haut. Die Wangen entflammt und kühl das Herz. Zum Schluss eine gute ‹persillade›, die Petersiliensauce mit Knoblauch. Tragen Sie sie auf, giessen Sie den ganzen Saft darüber. Das erinnert mich an Scheherazade.»
Evelyne Bloch-Dano schreibt über viele Gemüsesorten, die wir heute in unseren Breitengraden ganz selbstverständlich verzehren. Sie sensibilisiert uns für die häufig komplexe Wegstrecke, die das Gemüse nehmen musste, damit wir ihm ohne Skepsis begegnen können. Mit historischen, literarischen und kunstgeschichtlichen Exkursen zeigt sie, dass das Gemüse mit Abenteuern viel mehr am Hut hat, als man ihm so gemeinhin zutrauen möchte.
Gemüse erwärmt das Herz
Klar, Gemüse muss man zubereiten, Gemüse macht Arbeit. Man muss es schälen, waschen, kleinschneiden, kochen. Die Zubereitung erfordert Zeit, Aufmerksamkeit und Phantasie. Aber wie sehr lohnt sich der Aufwand nur schon mit Blick auf Kindheitserinnerungen: Mutters Lauchsuppe, Grossmutters Krautwickel oder auch die Linsen in der Schulkantine. Gemüse haben viel mit der häuslichen Küche zu tun und mit Familientraditionen. Und die Autorin schwärmt vom köchelnden Eintopf mit Karotten, weissen Rüben, Lauch und dem duftenden Apfelkuchen im Ofen.