Es beginnt furios. Es beginnt wie bei David Lynch in diesem kurzen Rätsel-Roman der Südafrikanerin Deborah Levy: Eine junge Frau im Seidenkleid und ihr Begleiter nachts im Auto auf einer Gebirgstrasse in den französischen Seealpen. Sie nimmt die Hände vom Lenkrad. Schnitt.
Träge und traumverloren im mediterranen Idyll
Eine Woche im Juli 1994 in einer südfranzösischen Ferienvilla. Das ist die Szenerie im Buch «Swimming Home» von Deborah Levy, das im vergangenen Jahr auf die Short List des Man Booker Prize gelangte. Zwei Familien aus London haben rund um den grosszügigen Swimmingpool Quartier bezogen. Es sind Flüchtlinge auf Zeit aus einem Alltag, der für alle unbefriedigend ist. Die Ehe des Erfolgsautors Joe H. Jacobs und seiner Frau, der TV-Kriegsreporterin, ist in der Krise, die 14-jährige Tochter in der Pubertät. Und auch die andere Familie ist nicht vom Glück verfolgt. Träge und traumverloren haben sich alle irgendwie eingerichtet im mediterranen Idyll. Bis Kitty Finch erscheint. Kitty Finch treibt nackt an der Wasseroberfläche des Pools, aber tot ist sie nicht. Sie ist gekommen, um zu bleiben.
Die rothaarige Sirene mit den langen Puppenbeinen verändert alles. Sie bringt Bewegung. Nach und nach korrigiert sie das gespannte Gleichgewicht zwischen den Feriengästen. Als Botanikerin stellt sie sich vor, aber das ist sie nicht. Ihr seltsames Verhalten lässt es ahnen, je länger je mehr, als schliesslich der Satz fällt: «Kitty Finch war verrückt.»
Affäre mit tödlichem Ausgang
Die junge Frau war in der Psychiatrie und schon dort vom Wunsch beseelt, dem verehrten Schriftsteller Joe H. Jacobs ihr Poem «Heim schwimmen» zu übergeben. Es gibt nur Bruchstücke daraus, aber für den Schriftsteller wird das Geschenk der Stalkerin zum Schlüsseltext: Joe H. Jacobs heisst eigentlich Josef Nowogrodzki. Auf der Flucht aus Polen ist er im Alter von fünf Jahren 1942 nach London gekommen. Er hat den Holocaust überlebt und ein Trauma behalten.
Die Affäre von Joe und Kitty endet tödlich, aber nicht auf der Gebirgsstrasse. Nicht in der beschriebenen Eingangsszene. Denn das Gedicht vom Schwimmen nach Hause ist eine verschlüsselte Aufforderung zum Selbstmord, eine freundliche Zueignung zum Tod. Es ist ein überaus maliziöses Geschenk. Am Schluss gibt es tatsächlich eine Leiche im Pool.
Ein Buch der Andeutungen
Deborah Levy hat einen kleinen, präzise gebauten Roman über das Schicksal geschrieben. Eine kluge, kurze Meditation über die Dinge des Lebens, über Ereignisse, die einen irgendwann einholen und erst dann ihre ganze Macht entfalten. All das gelingt Levy gleichsam nebenbei, eingebettet in die sanft lethargische Atmosphäre einer drückend heissen Sommerwoche an Frankreichs Mittelmeerküste. «Heim schwimmen» ist ein Buch der Andeutungen. Nicht alles muss gesagt werden und nichts ist ganz so, wie es scheint. Ein Buch mit Thrill und Nachwirkungen.