Hermann Hesse wurde zwar 1946 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet, doch seine Bücher verkauften sich nur schwer in den USA. Ab 1951 gingen in sechs Jahren gerade nur 13'000 Exemplare von «Siddharta» über den Ladentisch. Die Leser kamen vor allem aus der Hochschulgermanistik. Bei der Publikumsmehrheit galt Hesse als zu schwer, als zu europäisch. Doch dann ging es Schlag auf Schlag: «Es entstanden die jugendlichen Gegenbewegungen in den 1950er-Jahren. Die Beat-Generation, die Nature Boys, später dann auch die Hippies. Hesses Bücher wurden entdeckt und in unglaublichen Auflagezahlen auf den Markt gebracht», sagt Regine Bucher, Direktorin des Hesse-Museums.
Vom Zigarrenraucher zum Kiffer
1969 wurde «Steppenwolf» in einem Monat 360'000 mal verkauft. Hesses Gesamtauflage erreichte 11 Millionen, kein US-Schriftsteller erreichte so hohe Verkaufszahlen. Der Hesse Boom fand seinen Niederschlag auch in Musik und Kunst. Die Popgruppe Steppenwolf lancierte mit «Born to Be Wild» einen Welthit, das Santana-Album Abraxas ist von Hesses «Demian» inspiriert, Der New Yorker Grafiker Milton Glaser hielt Hesse fest. Andy Warhol schuf ein Poster, mit dem Hesse zu einer Ikone der Popkultur wurde. Es zeigt Hesse in seiner Bibliothek, den Kopf genüsslich in den Nacken gelegt, Hesse stösst Zigarrenrauch aus. Die Abbildung wurde farblich verfremdet und seither geht der Zigarrenraucher Hesse auch als Kiffer durch.
Orientalische Spiritualität, Selbstverwirklichung, Naturverbundenheit, experimentelle Lebensformen wurden aus Hesses Werken herausgelesen. Deutsche Emigranten hatten – durchaus in der Tradition des Monte Verità in Ascona – in den 1920er-Jahren an der US-Westküste erste Lebensreformbewegungen begründet. Daraus entstand in den 1940er-Jahren die Bewegung der Nature Boys. Sie führten ein naturnahes Leben, waren langhaarig, möglichst wenig bekleidet, ernährten sich vegetarisch. Hesse war dort Bindeglied zwischen der europäischen Lebensreformbewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts und den Gegenbewegungen im Westen der USA der 1940er-, 50er- und 60er-Jahre.
«Make love, not war»
Die Hippiebewegung stand auf gegen den Vietnamkrieg. Bei Love-ins und Bed-ins kam es zum friedlichen Austausch, im Gespräch, bei Drogen, bei der Liebe. 1943 schrieb Hesse über den Zweiten Weltkrieg: «Wenn alle die Millionen mit allen Höllen der Technik aufeinander losfeuern, dann ist ohne weiteres jeder im Recht, der wenigstens etwas nicht Böses oder Schädliches, etwas Harmloses und höchstens für ihn selber Gefährliches tut.» «Make love, not war», der Slogan der Anti-Vietnam-Bewegung, erscheint als Umdeutung des Hesse-Zitats.
Auch der Psychologieprofessor Timothy Leary, bekannt durch seine Experimente mit LSD, fand Inspiration in Hesses Schriften. Für Leary war klar: Hesses Steppenwolf ist das perfekte Lehrbuch für einen LSD-Trip. Was hätte Hesse dazu gesagt? «Dass das nicht im Sinne Hermann Hesses war, ist offensichtlich. Wobei – bei der freien Liebe – vielleicht hätte er das gut gefunden, so ein bisschen und im Geheimen», vermutet die Ausstellungsmacherin Eva Zimmermann.
Die Ausstellung in Montagnola zeigt eindrücklich, wie Hermann Hesse von jeder Generation immer wieder in neuen Zusammenhängen gesehen und neu umgedeutet worden ist. Hesse hätte in den Hippies wohl das Positive gesehen. Und im hohen Alter hätte er den Trubel mit gelassenem Humor betrachtet.
Sendung: Kultur Kompakt, Radio SRF 2 Kultur, 24.3.2016, 12.03 Uhr