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Mädchen schaut aus einem Zugfenster.
Legende: Die Protagonistin von «Girl on the Train» kann ihren eigenen Erinnerungen nicht trauen. Getty Images

Literatur Hochspannung in «Girl on the Train»

Die englische Schriftstellerin Paula Hawkins hat mit ihrem ersten Thriller gleich einen Hit geschrieben. «Girl on the Train» landete auf Anhieb ganz oben auf der Bestsellerliste der New York Times. Es ist die Geschichte einer Alkoholikerin, die glaubt, bei einem Verbrechen Zeugin gewesen zu sein.

Im Zentrum der Geschichte steht die 30-jährige Rachel. Jeden Tag fährt sie mit dem Pendlerzug von einem Vorort nach London. Jeden Tag hält der Zug an der gleichen Stelle, und Rachel schaut auf ein Haus, in dem ein junges Paar wohnt. Sie selbst ist einsam, arbeitslos und alkoholkrank – und malt sich aus, wie glücklich dieses Paar sein muss: «Ich weiss, dass die Bewohner dieses Hauses an warmen Sommerabenden manchmal aus dem grossen Schiebefenster klettern und sich auf ihre improvisierte Dachterrasse über der ausgebauten Küche im Erdgeschoss setzen. Sie sind das perfekte Paar.»

Buchhinweis

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Legende: Kate Neil

Paula Hawkins: «Girl on the Train», Blanvalet, 2015.

Von «Gone Girl» inspiriert?

Aber die Idylle trügt. Eines Tages beobachtet Rachel, wie die junge Frau einen anderen Mann küsst. Kurz darauf ist sie spurlos verschwunden. Und Rachel soll dort, wo sie zuletzt gesehen wurde, auch gewesen sein. Nur: Sie kann sich nicht mehr genau erinnern. Wegen ihrer Alkoholsucht hat sie immer wieder Blackouts: «Ich blinzle gegen das Sonnenlicht an und versuche verzweifelt zusammenzufügen, was ich tatsächlich gesehen habe, aber es kommt nichts. Nichts Greifbares, nichts Hilfreiches.» Was ist tatsächlich geschehen? Auch der Leser bleibt bis auf die letzten Seiten im Ungewissen, weiss immer nur so viel wie die (unzuverlässige) Erzählerin.

Titel, Cover, Aufmachung von «Girl on the Train» erinnern stark an «Gone Girl», einen Thriller, der 2012 zum Bestseller wurde. Die amerikanische Autorin Gillian Flynn erzählt darin ebenfalls die Geschichte einer verschwundenen Frau. Es wäre unfair, Paula Hawkins zu unterstellen, sie habe ihre Geschichte von «Gone Girl» abgekupfert. Trotzdem: Eine clevere Marketingstrategie scheint dahinterzustecken. Man hat auf einen Wiedererkennungswert gesetzt – und ist damit offenbar erfolgreich.

Spannend bis zum Schluss

«Girl on the Train» ist kein Thriller, von dem man auch in zehn Jahren noch schwärmen wird. Aber er ist solide geschrieben und spannend zu lesen. Rachel ist eine authentische, überzeugende Hauptfigur. Gleich zu Beginn des Romans läuft der Leserin ein kalter Schauder über den Rücken: «Da liegt ein Kleiderhaufen an den Gleisen.»

Die Geschichte nimmt immer wieder unerwartete Wendungen und hat ein überraschendes Ende. Über allem liegt ein konstantes Gefühl von Bedrohung, die so gar nicht in dieses gutbürgerliche Quartier mit den schönen Häusern und gepflegten Gärten passen will.

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