Donna Tartt schreibt alle zehn Jahre ein Buch. Sie nimmt sich Zeit, richtig viel Zeit. Dafür wird es dann aber auch richtig gut. Das beweist ihr Erfolg: Seit 22 Wochen liegt ihr neuster Roman «The Goldfinch» – «Der Distelfink» – auf den vorderen Rängen der «New York Times»-Bestsellerliste. Jetzt erobert Donna Tartt mit «Distelfink» die deutsche Literaturlandschaft.
Chaos und Schönheit
Ein Bombenattentat im Metropolitan Museum in New York bringt die Geschichte ins Rollen. Der 13-jährige Theo Decker verliert dabei seine Mutter. Er selbst überlebt wie durch ein Wunder und schmuggelt im Chaos nach dem Anschlag ein kleines Ölgemälde aus dem Museum.
Das Ölbild, das auch ausserhalb des Romans existiert, zeigt einen Distelfinken, gemalt 1654 vom Niederländer Carel Fabritius. Der kleine Vogel ist an einer feingliedrigen Kette gefesselt und beschwört so im Betrachter Fragen nach Freiheit und Würde herauf. Die Aura des Bildes zieht Theo sofort in ihren Bann – und wird ihn begleiten durch die Wirren seiner Jugend- und jungen Erwachsenenjahre.
Moderne Odyssee
Atmosphärisch dicht beschreibt Donna Tartt auf über tausend Seiten Theos Odyssee auf der Suche nach Liebe und Heimat. Stationen macht er bei einer Pflegefamilie in der gehobenen Gesellschaft New Yorks, in einem verstaubten aber gemütlichen Möbelantiquariat, in einer leerstehenden Reihenhaussiedlung unter der sengenden Sonne von Las Vegas.
Richtig Halt findet Theo jedoch nirgends. Einzig die gelegentlichen Blicke auf das Bild mit dem Distelfinken schenken ihm Ruhe: Es ist das Bindeglied zur toten Mutter und eine Konstante der Schönheit im Durcheinander seines Lebens. Doch an das Bild knüpfen sich auch schlechtes Gewissen und Angst: Denn Theo zieht es immer tiefer hinein in kriminelle Verstrickungen. Und der Entwicklungsroman wird immer mehr zum Kunstthriller.
Vom Glück des Lesens und Schreibens
«Der Distelfink» ist ein wahrer Lesegenuss: bildstark und spannend. Die Schauplätze sind genau beobachtet, die Charaktere liebevoll gezeichnet und verpackt in einen schlau konstruierten Plot. Die 50-jährige Autorin sagt, sie wolle den Leser und die Leserin auf eine Reise mitnehmen, die sie selbst als Kind so geliebt habe: «Was ich in einem Buch will, ist das fröhliche, gierige, unersättliche Lesen, das atemlose Blättern der Seiten, um herauszufinden, was dem Helden als nächstes zustösst.»
Auf dieses Leseerlebnis müssen Fans von Donna Tartt jeweils lange warten. Drei Romane hat sie bis jetzt geschrieben. «Die geheime Geschichte» anfangs der 90er Jahre war ein Sensationserfolg. Es folgte zehn Jahre später «Der kleinen Freund» und jetzt «Der Distelfink». Sie habe versucht schneller zu schreiben, aber sie konnte es nicht geniessen: «Macht es mir keinen Spass, macht es auch dem Leser keinen Spass.» sagt die zierliche Autorin, die stets mit akkuratem Pagenschnitt, Hosenanzug und Krawatte auftritt.
Wenn sie so weiter schreibt, wie viele Romane werden es sein in ihrem Leben? «Fünf Romane wären gut, mit fünf bin ich glücklich» sagt sie. Wir auch.